Kennt
ihr das auch: Man hat eine Melodie im Kopf, hat aber keine Ahnung,
woher diese Melodie stammt!?
Das
ist ein altbekanntes Phänomen und kann einen an den Rand der
Verzweiflung bringen, nicht wahr?!
Das
Rätsel um zumindest eine solche Melodie soll heute endgültig
geklärt werden. Es wird ein Melodie-Schema vorgestellt, welches
sich durch viele hundert Jahre geschlichen, in allen Epochen der
Musikgeschichte Bestand gefunden und nichts an seiner Frische
verloren hat. Seit seiner Erfindung erfreute es sich stets größter Beliebtheit, mit der die Musikgeschichte im Sturm erobert wurde. Somit wird heute ein weiter Brückenschlag getan, der einen Horizont
erschließt, bei dem sich wieder mal Renaissance und Gegenwart über
Jahrhunderte hinweg die Hände reichen!
In
diesem Artikel möchte ich ein melodisch-harmonisches Satzmodell
präsentieren, welches
„La
Folia“
heißt
und im
Barock seine Blüte hatte.
Dieses
Wort kann man mit „übermütiger Ausgelassenheit“
oder auch
„Tollheit“ übersetzen. Klingt eigenartig, nicht wahr? Grund
genug, dass ich heute
eine kleine Spurensuche betreibe, die uns
durch die Musikgeschichte
führen wird und
wir erstaunt sein werden,
was für große Namen uns dabei wieder begegnen. Was für ein Glück,
dass wir vor
diesen
großen Namen mittlerweile keine Angst mehr haben, sondern sie
uns längst
als
alte Freunde erscheinen, die
gute Musik mit
sich bringen!
Wir
beginnen zunächst in der tiefsten Renaissance und befinden uns im
Spanien sowie Italien des 16. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit entstanden
Musikstücke, die bereits die Charakteristika des späteren
„Folia“-Typs aufwiesen. Ein Komponist, der diesen Typus
entschieden mitgeprägt hatte, war der Spanier Diego Ortiz
(1510-1570), der an einem Hofe zu Neapel angestellt war. Und wenn man
seine frühe Form der „Folia“ hört, so können sich einige
bereits denken, welche Spannweite diese Melodie in der
Musikgeschichte entfalten wird:
Dieses
Musikstück kommt noch nicht bekannt vor?! Nun, dann schnell weiter …
Der große
Durchbruch dieses Harmoniemodells kam erst im Barock, wo es durch den
großen französischen Hofkomponisten Jean-Baptiste
Lully (1632-1687) erstmals alle charakteristischen Merkmale der uns
heute bekannten „Folia“ aufwies. Die unsterbliche Harmoniefolge,
die von tiefem Moll-Grundton in Dur aufsteigt und dann wieder zu Moll
hinabsinkt, berührt uns heute wohl noch genauso wie das höfische
Leben damals:
Ein feudales Meisterwerk,
nicht wahr?
Hier ist vielleicht eine
kleine Anekdote angebracht: Lully steht in vielen Büchern als jener
Komponist, der den unnötigsten aller Tode erleiden musste. Er war am
Hofe vom „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. in Frankreich angestellt und
wollte zu Ehren der Genesung des Königs nach einer gelungenen
Operation ein Konzert veranstalten, bei dem er selbst dirigieren und
den Takt schlagen sollte. Dummerweise schlug er sich dabei während
seiner emotionalen Orchesterleitung mit dem Dirigentenstab auf den
Fuß. Es entstand eine offene Wunde, die sich entzündete. Wenige
Tage später starb Lully an Wundbrand. Shit happens ...
Wie auch immer, unter
Lully begann die wahre Erfolgsgeschichte der „Folia“. Sie
verbreitete sich über ganz Europa und alle großen Komponisten
liebten dieses Satzmodell und jeder wollte ihm ein Werk widmen oder
Variationen darüber schreiben.
Ganz gleich, ob es ein
Antonio Vivaldi (1678-1741) in Venedig war:
Oder ein Georg Friedrich
Händel (1685-1759) in London:
Oder ein Johann Sebastian
Bach (1685-1750) in Leibzig:
Eingeweihte wissen, dass
Vivaldi, Händel und Bach keine kleinen Meister des Barocks waren und
so trugen diese dazu bei, dass die Popularität der „Folia“ keine
Grenzen kannte. Dieses Satzmodell avancierte sogar zu einem der
beliebtesten Tanzsätze des Barocks. Langsam gespielt würde es
sich um eine Sarabande handeln. Hätte es damals Charts gegeben, wäre
die „Folia“ jahrelang auf Platz eins der Barock-Hitliste gewesen.
Doch auch nach dem
Barock, in der Klassik, griffen viele Komponisten auf die „Folia“
zurück.
Beispielsweise der wunderbare italienische Komponist und
Gitarrenvirtuosen Mauro Giuliani (1781-1829):
Auch in der Wiener Klassik hielt die „Folia“ Einzug. Ein
Komponist, der sich besonders um dieses Harmonieschema verdient
gemacht hat, war Antonio Salieri (1750-1825). Kinofreunde, die den
großartigen Film „Amadeus“ von Miloš Forman
(*1932) gesehen haben, wissen, dass Salieri der Mörder von Wolfgang
Amadeus Mozart (1756-1791) war. Kenner, die sich darüber hinaus auch
ein wenig mit Musik beschäftigt haben, wissen, dass das nicht stimmt
und dass Salieri in erster Linie als hervorragender Lehrer von
Beethoven, Hummel, Liszt und Schubert Anerkennung verdient. Man
könnte fast sagen, dass hier die Theater- und Filmindustrien im
Falle Salieris einen ganz gemeinen Rufmord zu Gunsten des
Spannungsbogens betrieben haben …
Wie auch immer, Salieri
schrieb ein großes Variationswerk über das „Folia“-Thema, das
zu seinen bedeutendsten Werken zählt:
Ludwig van Beethoven
(1770-1827), Salieris Schüler und ein eitler Gockel, mochte diese
Melodie auch sehr gerne. Er wollte sie jedoch eher etwas versteckt in
sein Werk einfließen lassen, weil er der Ansicht war, dass auf
dieses Thema (möglicher Weise auch schon im Rahmen dieses Artikels)
zu oft direkt Bezug genommen wurde. Somit entschied er, das
Thema manchmal nur anzudeuten, um nicht ins Vorwasser geistigen
Eigentums eines anderen Komponistens zu geraten:
Wurde die „Folia“
erkannt? Ein raffinierter Kerl dieser Beethoven, nicht war?
Weltbekannt wurde
Beethovens „Folia“-Verarbeitung im zweiten Satz von dessen 5.
Symphonie. Es gibt eine kleine, ganz kurze Episode, wo er das Thema
zitiert. Ich bin gespannt, wer diese erkennt:
Wer auf Minute 6:06-6:27
getippt hat, hat Recht. Erstaunlich, nicht wahr? Noch erstaunlicher
ist, dass dieser Zusammenhang von Musikwissenschaftlern erst 1994
publiziert wurde. Wir sind also mit diesem Artikel fast an vorderster
Forschungsfront!
Da wir im Rahmen dieses Artikels bereits sehr viel Musik hören
mussten, möchte ich langsam schließen. Ich hoffe, dieser Artikel
konnte zeigen, wie sich die „Folia“ die Musik erobert hat. Und da
Musik für viele das Paradies bedeutet, hat die „Folia“ das
Paradies von der Renaissance ausgehend erobert. Und da in vielen
Lehrbüchern der Beginn der Renaissance mit 1492, der Entdeckung
Amerikas, gleichgesetzt wird, könnte jemand, der des Englischen
mächtig ist, pointiert sagen: „Folia – 1492 - Conquest of
Paradise“!
Klingelt es? Nein? Dann
hört mal auf die Melodie des folgenden weltbekannten Werks eines griechischen Komponistens namens Vangelis (*1943), der besonders durch seine Filmmusik Bekanntheit erlangt hat:
Somit ist die „Folia“
nach einem langen Weg von tiefer Vergangenheit aus schließlich in
unserer Gegenwart angekommen. Eine Melodie, die bereits damals
begeisterte, wurde uns auch heute zu Teil! Ein Handschlag zwischen
Renaissance und dem Jetzt ist gelungen!
Das ist die Kraft und die
Beständigkeit der Musik, die uns doch so sehr bereichert … da sie
jeder Zeit enthoben ist!
(Ich widme
diesen Artikel meinen beiden Freunden Ronald Sladky und Barry
Lyndon!)