Heute widmen wir uns ganz
und gar der Wiener Klassik und ihren drei Hauptvertretern: Joseph
Haydn (1732-1809), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Ludwig van
Beethoven (1770-1827).
Als kleine Einstimmung
für diese Epoche soll ein weltbekanntes Klavierwerk aus jener Epoche
dienen, Mozarts 3. Satz aus seiner Klaviersonate in A-Dur, KV 331 …
der „Türkische Marsch“:
Jeder kennt es, jeder
liebt es … Mozarts Geist in Reinkultur!
Ich denke, jeder kennt
auch die anderen zwei Komponisten jener Epoche … zumindest vom
Hörensagen. Und einige vorgebildete Musikfreunde würden bei
Beethoven zumindest das Hören in Zweifel ziehen. Allerdings möchte
ich mich heute mit dem jungen Beethoven, als er noch absolutes Gehör
hatte, beschäftigen und inwieweit sein Frühwerk von seinen
Epochen-Kollegen beeinflusst wurde. Der Einfachheit halber begrenze
ich mich hierbei vorerst auf Sonaten für Klavier.
Wie man den Lebenszeiten
entnehmen kann, war Beethoven mit Abstand der Jüngste. Haydn könnte
sein (wenn auch junger) Großvater sein und Mozart zumindest sein
sehr frühreifer Vater. Oder, um es eleganter zu formulieren:
Beethoven konnte auf die klassische „Vorarbeit“ beider
zurückgreifen, bevor er selbst zu schaffen begann. Das ist sowohl
Fluch wie Segen! Denn diese „Vorarbeit“ wurde von keinen Laien
getan, sondern von wahren Meistern, welche bereits selbst die
harmonische Vollendung in jener Epoche erreichten. Doch wir würden
den Namen Beethoven heute nicht kennen, hätte dieser keinen eigenen
Weg gefunden, Mozarts und Haydns Erbe fortzuführen, zu ergänzen …
und am Ende sogar zu sprengen!
In Beethovens Frühwerk
befinden sich viele Reminiszenzen an seine beiden Vorbilder und doch
schuf er eine ganz neue Klangwelt, die sich von Mozart und Haydn
abhob und nun untrennbar mit dem Namen Beethoven verbunden ist. Und eben
diese Klangwelt soll hinsichtlich der frühen Klaviersonaten
Beethovens in diesem Artikel vermittelt werden.
A) Die neue Klangwelt
Doch beginnen wir etwas
grundsätzlicher ...
Was wenige wissen: Alle
drei Meister kannten sich persönlich!
Beginnen wir zunächst
bei Haydn und Mozart: Haydn war stets ein väterlicher Freund und
liebevoller Konkurrent von Mozart. Mozart nannte ihn in Briefen oft
ehrfürchtig „Papa“ und widmete ihm diverse Kompositionen. Haydn
war tief beeindruckt von diesem jungen Genie und schrieb an Mozarts
Vater:
„Ich sage ihnen vor
Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist,
den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat Geschmack, und
über das die größte Compositionswissenschaft.“
Das sind sehr große
Worte! Doch Mozart wird ihnen wohl gerecht. Das erkennt man allein an
seiner schöpferischen Gabe für wunderschöne Melodien, wie der
folgende Kopfsatz der späten Klaviersonate in C-Dur, KV 545 von
Mozart beweist:
Das Stück ist ebenfalls
bekannt, nicht wahr? Eine ganze Generation ist mit dieser Melodie
musikalisch erzogen worden. Es ist die Titelmelodie von „Young
People`s Concerts“, wo klassische Musik unendlich bereichernd und
liebevoll von einem der größten Dirigenten unserer jüngeren
Geschichte vermittelt wurde: Leonard Bernstein (1918-1990).
Der junge Beethoven
begegnete Mozart wahrscheinlich im Frühjahr 1787 auf einer
Studienreise in Wien. Beethoven wollte Kompositionsunterricht bei
Mozart nehmen, was allerdings nicht gelingen sollte, da Beethovens
Mutter in Bonn schwer erkrankte und er zur Rückreise gezwungen war
und da Mozart ohnehin zu dieser Zeit zu sehr mit der Fertigstellung
seiner Oper „Don Giovanni“ zu kämpfen hatte. Unabhängig dessen
war Beethoven ein großer Bewunderer Mozarts und tief beeindruckt von
dessen Klangwelt, welche er als vollkommen erachtete. Um neben einem
Mozart bestehen zu können, musste man neue Wege gehen.
Und das tat Beethoven ...
Wenn man nun den eben
gehörten Kopfsatz des späten Mozarts mit einem Kopfsatz des frühen
Beethovens vergleicht, so offenbaren sich sehr schnell die Tendenzen,
die Beethoven erstrebte: Erweiterung der Form, Steigerung des
Ausdrucks und Überwindung des Etablierten. Betrachten wir hierfür
den Kopfsatz der ebenfalls in C-Dur stehenden Sonate Beethovens,
op.2/3, welche nur wenige Jahre nach Mozarts Sonate entstanden ist.
Nach einem lieblichen einleitenden Thema rückt das Thema in Minute
0:23 der Hörprobe explosionsartig in neue, nie zuvor gekannte
Sphären, die schon fast symphonische Dimensionen haben. Hinzu kommt
ein geistreiches Seitenthema in Moll (0:47), das eine weitere
kontrastierende Klangwelt erschließt. In dieser Ambivalenz formt
sich ein neuer Kosmos, der Geschichte schreiben wird:
Man erkennt bereits in
diesem frühen Werk Beethovens, dass hier ein Genie geboren ist, das
unendlich viel zu sagen hat und welches die Wiener Klassik auf eine
neue Ebene führen wird.
Doch auch Haydn braucht sich keineswegs zu verstecken! Auch seine Musik sprüht vor
Witz und Einfallsreichtum. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist
seine späte Klaviersonate in E-Dur, welche in einem ähnlichen
Zeitraum wie die vorangegangenen Beispiele und kurz vor Mozarts Tod
komponiert wurde. Ein wunderbar melodiöses Thema gestaltet den
Rahmen. Doch Haydn wäre nicht Haydn, wenn dieser nicht eine kleine
Überraschung vorbereitet hätte. Diese Überraschung ist in diesem
Fall ein Abgrund von tiefgründiger Musik, die ausdrucksstärker
nicht sein könnte. In Minute 3:38 beginnt ein Zwischenspiel, das zu
Haydns dunkelsten und beeindruckendsten gehört:
(Jetzt wissen wir auch,
welches Musikstück Tom Cruise im Film „Interview mit einem Vampir“
vor Brad Pitt am Klavier spielt.)
Beethoven und Haydn
lernten sich Ende 1790 in Bonn kennen. Haydn erkannte sehr schnell
Beethovens Talent, vermittelte diesen nach Mozarts Tod erneut nach Wien und
vollbrachte das, was Mozart Jahre zuvor nicht gelungen war: Er wurde
Beethovens Lehrer.
Ein geistreicher und weitsichtiger Mäzen namens Ferdinand
Ernst von Waldstein (1763-1823) erfand hierfür die wunderbare
Formel, dass Beethovens nun „Mozarts Geist aus Haydns Händen“
erhalte.
Um die Wechselbeziehung
zwischen Beethoven und Haydn zu illustrieren, sei erneut Beethovens
Sonate op.2/3, von der wir eben den ersten Satz gehört haben,
herangezogen. Beethoven widmete diese seinem Lehrer Haydn und das
wohl mit gutem Grund. Zum einen steht der zweite Satz in der selben
Tonart wie jener von Haydn (E-Dur) und zum anderen spielt hier
Beethoven förmlich mit dem Kontrast zwischen hell und dunkel, den
Haydn in seinem Werk so großartig erschaffen hat.
Beethoven beginnt sein
Werk in E-Dur. Musikfreunde mit feinem Gehör erkennen sofort, dass
es an das Thema des einleitenden ersten Satzes angelehnt ist (nur
etwas langsamer). Doch in Minute 1:04 der Hörprobe driftet Beethoven
nach Moll in ungeahnte Tiefen und Seelenabgründe ab, die in Minute
2:19 gespenstische Dimensionen finden, die selbst Haydns Werk in den
Schatten stellen. Derart intensive und intime Musik hat es zuvor
nicht gegeben. Sie ist die Schöpfung von Beethovens Geist und ein
unsterbliches Beispiel seiner poetischen Klangeskraft:
B) Reminiszenzen an
Mozart und Haydn
Beethovens Durchbruch zu
seinem eigenen, vollendeten Ausdrucksstil gelang mit seiner frühen
Klaviersonate in c-Moll, op.13 im Jahre 1798, die als „Pathetique“
in die Geschichte einging. Nachdem Haydn sie gehört hatte, soll er
angeblich zu Beethoven gesagt haben, dass dieser von nun an nicht
mehr sein Schüler sei, da er ihm nichts mehr beibringen könne, da
Beethoven dessen Formschema perfekt verinnerlicht und im Ausdruck
eigene Vollendung erreicht hatte. Ob diese Anekdote stimmt oder nicht
ist unerheblich. Wichtig ist, dass Beethoven hier ein großes,
epochemachendes Meisterwerk gelungen ist, das an subjektiven
Weltschmerz nicht zu übertreffen ist und schon an der Pforte zur
nächsten Epoche, der Romantik, kratzt.
Als Beispiel soll uns der
zweite Satz dieser Sonate dienen, der wohl zu den bekanntesten Klavierwerken
Beethovens gehört:
Dass es sich bei diesem
Satz um eine insgeheime Reminiszenz an Mozart handelt, wissen wenige.
Mozart schrieb einige Jahre zuvor ebenfalls eine Klaviersonate in
c-Moll, KV457. Man höre nun den zweiten Satz dieser Sonate und
vergleiche diesen mit jenem Beethovens. Zwei Meister, eine Idee und
doch zwei Klangwelten. Es entscheide jeder für sich, welche Welt ihn
mehr berührt:
Verblüffend, nicht wahr?
Als kleine Schlusspointe
möchte ich mit einem Vergleich abseits der Klaviersonaten schließen,
der verwegen anmutet, aber irgendwie auf der Hand liegt.
Mozart schrieb als zwölfjähriges Wunderkind eine wunderschöne Oper
namens „Bastien und Bastienne“, KV50. Diese
Oper besitzt eine liebreizende Ouvertüre, die in jedes Herz Einzug
halten kann:
Wurde dieses Werk
gekannt? Nein?!?
Nun,
ich vermute, Beethoven kannte sie, denn
er machte aus dem Hauptthema ein
unsterbliches Meisterwerk, den
ersten Satz seiner 3. Symphonie, der „Eroica“, die seinen
Durchbruch als Symphoniker bedeutete:
Die „Eroica“, op.55 wird von vielen Musikexperten als Meilenstein in Beethovens Schaffen und in der Symphonik im Allgemeinen angesehen. Spätestens hier endet das Frühwerk, hier beginnt Beethovens eigentlicher Siegeszug durch die Musikgeschichte ...
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