Donnerstag, 26. Juni 2014

"Nicht jede Parodie ist lustig - III. Frühromantik"


Unter einer Parodie versteht man im landläufigen Sinn eine komisch-satirische Nachahmung oder Umbildung eines berühmten Werkes. Dabei wird die ursprüngliche Intension des Werkes meist leicht abgeändert oder übersteigert, sodass es auf eine übertrieben-verzerrte Weise ins Lächerliche gezogen wird. Derartige Parodien (griechisch παρωδία für „der Nebengesang oder das Gegengedicht“) gab es bereits seit jeher und sie waren immer ein Ventil, um Emotionen, Missstände oder einfach nur Geselligkeiten (seien diese politischer, humanistischer oder künstlerischer Natur) im Deckmantel des Humors aufzuzeigen und Raum zu geben.

Und was hat das mit Musik zu tun?

Auch in der Musik existieren Parodien! Der Begriff "Parodie" dient aber in der Musikwissenschaft nicht zur humoristischen Überzeichnung, sondern zur Verwendung eines bestimmten Materials, das bereits existiert. Und das taten viele bequeme (und etwas faule) Komponisten nahezu regelmäßig: Sie nahmen ein bereits komponiertes Werk und benutzten dieses in einem anderen Zusammenhang einfach noch einmal. Hierfür wurde dieses etwas abgewandelt, indem ein neues Instrumenten-Ensemble oder einfach nur ein anderer Text der Komposition zugrunde gelegt wurde.

Kurzum: Nicht jede Parodie ist lustig!!!

Dieses Phänomen kann man in jeder Epoche finden. Diese Art des ökonomischen Gebrauches findet man vom Barock ausgehend bis hin zu bekannten Popliedern, die sich relativ frech klassische Melodien einfach stehlen. 

Grund genug für Sölkners Klassik-Kunde, diesem Phänomen nachzugehen. Wir haben uns in den letzten beiden Beiträgen mit dem Barock und der Wiener Klassik auseinandergesetzt. Heute wenden wir uns der Frühromantik und ihrem ungekrönten König, Franz Schubert, zu.


Franz Schubert (1797-1828) war ein armer Kerl. Im Gegensatz zu seinen Kollegen aus der Wiener Klassik wurde ihm kein nennenswerter Ruhm zu seinen Lebzeiten zuteil. Die Wiener Kunstszene nahm kaum von ihm Notiz, seine bedeutensten Werke wurden erst Jahrzehnte nach seinem Tode entdeckt sowie uraufgeführt und er musste sich mit Liederabenden im kleinen Freundeskreis (den sogenannten Schubertiaden) begnügen. 

Doch Kunst hat ein langes Gedächtnis und so kam es, dass Schuberts Werk seinen Schöpfer übderdauerte und sich letzten Endes auch durchsetzte. Die jugendliche Frische und Genialität seiner Musik hat der Zeit getrotzt und ihm nachträglich zu den ganz großen Gestirnen am Klassik-Himmel emporgehoben. Würde man Schubert gesagt haben, dass sein Name in Zukunft im gleichen Atemzug mit seinem großen Vorbild Beethoven genannt und sein Grabmahl eben neben diesem am Wiener Zentralfriedhof angelegt werden würde, er würde sich ungläubig und kopfschüttelnd abgewandt haben ...

Doch zu den Parodien!

Schubert liebte es, Parodien auf seine eigenen Werke zu schreiben. Er funktionierte gerne bekannte Liedkompositionen von ihm für ein anderes Ensemble um. So kam es, dass die Melodien seiner Lieder "Die Forelle" und "Der Tod und das Mädchen" sich plötzlich im "Forellen"-Quintett oder im "Der Tod und das Mädchen"-Streichquartett wiederfanden. 

Eine Melodie hatte Schubert anscheinend als besonders wertvoll empfunden und parodierte sie deshalb mehrere Male. Es handelt sich um ein Stück aus der Bühnenmusik (D 797) für das Schauspiel "Rosamunde, Prinzessin von Zypern" aus dem Jahre 1823. Das Schauspiel ist längst vergessen, die Musik Schuberts nicht. Die folgende Zwischenaktmusik zeugt nicht nur von Schuberts Melodienreichtum, sie ist auch ein wunderbares Beispiel für romantische Musik im Allgemeinen:



Nur Barbaren kommen bei einer solch wunderbaren Musik nicht ins Schwärmen ...

Auch Schubert dürfte von dieser Musik sehr angetan gewesen sein, denn er verwendete das wunderschöne Hauptthema wenig später erneut in einem seiner großen Streichquartette, dem "Rosamunde"-Quartett (D 804):



Lyrischer könnte eine Parodie wirklich nicht sein!

Doch damit nicht genug! Diese Melodie fand auch in einem späten Klavierwerk Schuberts, dem Impomptus D 935/3, als Thema für eine große Variationsreihe Verwendung. Man schließe die Augen und genieße die wunderbaren Metamorphosen, die Schubert das Thema durchleben lässt:



Ein einziges Thema in vielen Gestalten ... Und das verdanken wir nur einem einzigen großen Geist: Franz Schubert, dem ungekrönten König der Frühromantik!

Soviel zu den Parodien der Frühromantik! Diese Art des ökonomischen Gebrauches von Themenmaterial wusste aber auch die nächste Generation zu nutzen. Diese wird im nächsten Artikel unter die Lupe genommen, wenn es heißt:

"Nicht jede Parodie ist lustig - IV. Spätromantik"




Dienstag, 17. Juni 2014

"Nicht jede Parodie ist lustig - II. Wiener Klassik"


Unter einer Parodie versteht man im landläufigen Sinn eine komisch-satirische Nachahmung oder Umbildung eines berühmten Werkes. Dabei wird die ursprüngliche Intension des Werkes meist leicht abgeändert oder übersteigert, sodass es auf eine übertrieben-verzerrte Weise ins Lächerliche gezogen wird. Derartige Parodien (griechisch παρωδία für „der Nebengesang oder das Gegengedicht“) gab es bereits seit jeher und sie waren immer ein Ventil, um Emotionen, Missstände oder einfach nur Geselligkeiten (seien diese politischer, humanistischer oder künstlerischer Natur) im Deckmantel des Humors aufzuzeigen und Raum zu geben.

Und was hat das mit Musik zu tun?

Auch in der Musik existieren Parodien! Der Begriff "Parodie" dient aber in der Musikwissenschaft nicht zur humoristischen Überzeichnung, sondern zur Verwendung eines bestimmten Materials, das bereits existiert. Und das taten viele bequeme (und etwas faule) Komponisten nahezu regelmäßig: Sie nahmen ein bereits komponiertes Werk und benutzten dieses in einem anderen Zusammenhang einfach noch einmal. Hierfür wurde dieses etwas abgewandelt, indem ein neues Instrumenten-Ensemble oder einfach nur ein anderer Text der Komposition zugrunde gelegt wurde.

Kurzum: Nicht jede Parodie ist lustig!!!

Dieses Phänomen kann man in jeder Epoche finden. Diese Art des ökonomischen Gebrauches findet man vom Barock ausgehend bis hin zu bekannten Popliedern, die sich relativ frech klassische Melodien einfach stehlen. 

Grund genug für Sölkners Klassik-Kunde, diesem Phänomen nachzugehen. Wir haben uns das letzte Mal im ersten Teil mit dem Barock beschäftigt. Heute wenden wir uns der Wiener Klassik mit ihren drei Hauptvertretern zu. Es sind keine Geringeren als Haydn, Mozart und Beethoven.



Joseph Haydn (1732-1809) kann in vielerlei Hinsicht als Vater der Wiener Klassik gelten. Die Gattungen des Streichquartettes und der Symphonie wurden von ihm maßgeblich mitgestaltet sowie entwickelt und jeder nachgeborene Komponist kam nicht umhin, sich mit der Originalität und dem Einfallsreichtum von Haydns Werk zu beschäftigen.

Haydn hatte darüber hinaus das Glück, bereits zu Lebzeiten geschätzt und geachtet zu werden. Vor allem in seinen späten Jahren wurde ihm auf den Britischen Inseln besonders viel Beifall zuteil, sodass er nicht nur die Ehrendoktorwürde von der Universität in Oxford annahm, sondern auch seine letzten 12 Symphonien, die "Londoner Symphonien" genannt wurden.

Die bekannteste davon ist mit Sicherheit Symphonie Nr. 94 in G-Dur, die meist nur als "Symphonie mit dem Paukenschlag" bezeichnet wird. Dieser Titel ist jedoch sehr irreführend und wurde im englischsprachigen Raum sinnvoller mit "Surprise" bezeichnet. Diese "Überraschung" bezieht sich auf den 2. Satz der Symphonie, in welchem ein sehr eingängiges Thema variiert wird. Nachdem das Thema zweimal gemächlich vorgetragen wurde und der Zuhörer versucht ist, langsam vor sich hinzudösen, wird dieser durch die "Überraschung" im Takt 16 (Minute 0:30 in der Hörprobe) aus seinem Schlummer gerissen. Darauf entspinnt sich eine herrliche Variationsreihe, die schlichtweg originell und meisterhaft ist.

Das ist nur ein Beispiel von der jugendlichen Frische, die sich der humorvolle Großmeister Haydn sein Leben lang bewahrt hatte:




Dass Haydn selbst auf dieses Thema stolz und sich seiner Popularität bewusst war, kann man an dem erneuten Gebrauch in Haydns großem Oratorium "Die Jahreszeiten" erkennen. Die Arie "Schon eilet froh der Ackersmann" greift auf dieses Thema zurück und parodiert es somit: 




Wurde das Thema entdeckt? Ab Minute 0:24 ...

Ein ähnlicher Gassenhauer gelang Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) in seinem Opernmeisterwerk "Le nozze di Figaro". Das Finale des ersten Aktes erreichte Bekanntheit, die weit über die Oper hinausging:




Wiedermal eine wunderbare Eingebung von Mozart, die einem kaum aus dem Ohr gehen mag ...

Auch Mozart war sich des Wiedererkennungswertes dieser Arie bewusst und parodierte sie im Finale seiner nächsten Meisteroper "Don Giovanni". In diesem Finale spielt eine kleine Kapelle bei einem Festmahl verschiedenste Melodien aus unterschiedlichen zeitgenössischen Opern, die eifrig von Don Giovannis Diener, Leporello, kommentiert werden. Als schließlich jene hauseigene Melodie aus Mozarts Figaro gespielt wurde, kommentiert Leporello das schlicht mit: "Questa poi la conosco pur troppo!" ("Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor!")

Mit so trockenem Humor kann eine Parodie bei einem Festmahl serviert werden! 

Vergleicht man Ludwig van Beethoven (1770-1827) mit seinen beiden älteren Epochenkollegen, so erkennt man schnell, dass Beethoven wohl etwas weniger Humor und Selbstironie, dafür aber zumindest ebenso geistreiche Musik zu eigen hatte. Dennoch kann man bei Beethoven Parodien entdecken (wenn auch aus Werken von anderen Großmeistern).

Man nehme beispielsweise die Krönungshymne "Zadok the priest" von Georg Friedrich Händel (1685-1759), auf der auch die Hymne der UEFA (Vereinigung Europäischer Fußballverbände) basiert:





Es lässt sich schwer rekonstruieren, ob Beethoven ein größerer Verehrer von Händel oder des europäischen Fußballs war, jedenfalls parodierte er diese Hymne im Finale seines Oratoriums "Christus am Ölberg". Dieses Finale heißt "Welten singen Dank und Ehre". Ich denke, etwas des Dankes gebührt auch Händel (und der UEFA):




Soviel zu den Parodien der Wiener Klassik! Diese Art des ökonomischen Gebrauches von Themenmaterial wusste aber auch die nächste Generation zu nutzen. Diese wird im nächsten Artikel unter die Lupe genommen, wenn es heißt:

"Nicht jede Parodie ist lustig - III. Frühromantik"



Donnerstag, 12. Juni 2014

"Nicht jede Parodie ist lustig - I. Barock"


Unter einer Parodie versteht man im landläufigen Sinn eine komisch-satirische Nachahmung oder Umbildung eines berühmten Werkes. Dabei wird die ursprüngliche Intension des Werkes meist leicht abgeändert oder übersteigert, sodass es auf eine übertrieben-verzerrte Weise ins Lächerliche gezogen wird. Derartige Parodien (griechisch παρωδία für „der Nebengesang oder das Gegengedicht“) gab es bereits seit jeher und sie waren immer ein Ventil, um Emotionen, Missstände oder einfach nur Geselligkeiten (seien diese politischer, humanistischer oder künstlerischer Natur) im Deckmantel des Humors aufzuzeigen und Raum zu geben.

Und was hat das mit Musik zu tun?

Auch in der Musik existieren Parodien! Der Begriff "Parodie" dient aber in der Musikwissenschaft nicht zur humoristischen Überzeichnung, sondern zur Verwendung eines bestimmten Materials, das bereits existiert. Und das taten viele bequeme (und etwas faule) Komponisten nahezu regelmäßig: Sie nahmen ein bereits komponiertes Werk und benutzten dieses in einem anderen Zusammenhang einfach noch einmal. Hierfür wurde dieses etwas abgewandelt, indem ein neues Instrumenten-Ensemble oder einfach nur ein anderer Text der Komposition zugrunde gelegt wurde.

Kurzum: Nicht jede Parodie ist lustig!!!

Dieses Phänomen kann man in jeder Epoche finden. Diese Art des ökonomischen Gebrauches findet man vom Barock ausgehend bis hin zu bekannten Popliedern, die sich relativ frech klassische Melodien einfach stehlen. 

Grund genug für Sölkners Klassik-Kunde, diesem Phänomen nachzugehen. Wir beginnen heute mit Teil I im Barock und werden bereits bei den drei ganz großen Barockern fündig: Vivaldi, Händel und Bach.



Den Beginn macht eine der wohl bekanntesten Kompositionen der Musikgeschichte, "Le quattro stagioni" ("Die vier Jahreszeiten") von Antonio Vivaldi (1678-1741). Wer kennt den herrlichen Eröffnungssatz nicht, der auf wunderbare Weise den Überschwang und den Reichtum des Frühlings preist!? Dieser Satz ist voll und ganz dem Erblühen, Gedeihen und Aufleben gewidmet:





Weniger bekannt ist, dass genau dieser Satz (von Vivaldi selbst) einige Jahre später in der Oper "Dorilla in Tempe" parodiert wurde. Hier wurde das einleitende Thema des Frühlingssatzes erneut aufgegriffen und von einem Chor als Arie "Dell'aura al sussurrar" dargeboten. Passenderweise handelt es sich hierbei ebenfalls um einen Lobgesang an den Frühling:




Georg Friedrich Händel (1685-1759) war ebenfalls ein Komponist, der sich sehr gerne selbst parodierte. Als Musikfreund könnte man es sich fast zum Hobby machen, bekannte Themen von Händel in ihrer unterschiedlichsten Verwendung aufzuspüren. Heute wollen wir uns aber lediglich mit Händels bekanntesten und vielleicht sogar schönsten Opernarie beschäftigen. Es handelt sich um "Lascia ch'io pianga" aus der Händel-Oper "Rinaldo", welche 1711 entstanden war:




Bewegend, nicht wahr?

Allerdings ist diese Arie bereits eine zweifache Parodie. Die gesamte Arie wurde schon (wenn auch mit anderem Text) in Händels Oratorium "Il trionfo del tempo e del disinganno" aus dem Jahre 1707 verwendet, als in Rom ein etwas wirrer Papst die Aufführung von Opern verboten hatte. Die Melodie dieser schönen Arie ist sogar noch älter und wurde bereits in Händels ersten Oper "Almira" aus dem Jahre 1705 als Tanzsatz verwendet.

Tja, Händel wusste eben, was gute Musik war und scheute nicht, diese auch öfters zu gebrauchen!  

Ähnlich war es mit Johann Sebastian Bach (1685-1750). Auch er benutzte sehr häufig eigenes Themenmaterial. Ein sehr dankbares Feld hierfür sind seine 6 Brandenburgischen Konzerte, in denen er für verschiedenste Ensembles höchst geistreiche Musik komponierte. Man untertreibt nicht, wenn man sagt, dass hierbei Bach wohl einer der bedeutensten Konzertzyklen des gesamten Barocks gelungen ist. Das berühmteste dieser Konzerte ist wohl das dritte, das für reine Streicherbesetzung komponiert wurde. Der feudal-erhabene Streicherklang gehört zu Bachs einnehmensten Kompositionen, dem sich kaum jemand erwehren dürfte:





Das wusste freilich auch Bach und parodierte diesen Satz in seiner Kantate "Ich liebe den Höchsten von ganzem Gemüte", BWV 174. Es spricht schon für sich, wenn Bach diesen Satz aufgreift, um den Höchsten zu huldigen! Allerdings fügte er hierbei dem Streichensemble Hörner und Oboen hinzu: 





Soviel zu den Parodien im Barock! Diese Art des ökonomischen Gebrauches von Themenmaterial wusste aber auch eine jüngere Generation zu nutzen. Diese wird im nächsten Artikel unter die Lupe genommen, wenn es heißt:

"Nicht jede Parodie ist lustig - II. Wiener Klassik"