Italien, das Land wo das süße Leben ("La dolce vita") herrscht, die Sprache wie Melodie klingt und Wein der Inspiration wahrer Quell ist. All diese Klischees scheinen gute Voraussetzungen zu sein, in Italien musikalisch Großes zu schaffen. Und in der Tat sind viele der beliebtesten und bedeutendsten Opern in italienischer Sprache verfasst. Und viele davon haben einen auf den Programmen oft ungenannten Hauptdarsteller, nämlich den Wein. Man könnte sogar fast behaupten, dass einige der beliebtesten italienischen Arien Trinklieder oder Lobpreisungen an den Wein sind. Man könnte es aber auch etwas einfacher und diskreter ausdrücken: "Wo Wein ist, ist auch Musik!"
Bereits die erste Arie, die ich als Hörbeispiel in Bezug zu italienischer Musik und Wein präsentieren möchte, bringt mich etwas in Verlegenheit: Zum einen spielt die Oper in Spanien, zum anderen wurde diese von keinem Italiener komponiert. Der Schöpfer der Oper war Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und hatte als Muttersprache einen relativ derben Salzburger Dialekt. Das ändert allerdings nichts daran, dass er dem Italienischen ausgezeichnet mächtig gewesen ist und als Textgrundlage sehr häufig italienische Libretti verwendet hat. Die Oper, um die es geht, heißt "Don Giovanni" aus dem Jahre 1787, welche von einem trinkenden Frauenhelden und Gelegenheitsmörder handelt, der am Ende als Strafe zur Hölle fahren muss.
Eines der berühmtesten Lieder daraus ist "Fin ch'han dal vino", welches oft fälschlicherweise als "Champagner-Arie" bezeichnet wird. In dieser Arie freut sich Don Giovanni über ein nahendes Fest, an dem er viele Damen mithilfe des Weines verführen will. (Dass er auch selbst ein begeisterter Konsument des Weines ist, muss nicht extra betont werden.)
Der Beginn der Arie lautet:
"Fin ch'han dal vino
calda la testa,
una gran festa
fa prepara ..."
("Auf zu dem Feste!
Froh soll es werden,
bis meine Gäste
glühen von Wein ...")
Man sieht also anhand dieser etwas freien Übersetzung, dass Wein ein wesentlicher Bestandteil von Don Giovannis Fest sowie der geplante Weg zu seinem Ziele ist. Am Ende der Arie erwähnt er übrigens noch, dass er vorhabe, zehn Damen auf diese Weise zu erobern und zerschmeißt sein Glas Wein in der Hand, damit ihm die Scherben Glück bringen.
Wenn man so will, pflastert der Wein seinen Weg zur Hölle ...
Wenn man so will, pflastert der Wein seinen Weg zur Hölle ...
Die nächste Oper, der wir uns widmen, spielt ebenfalls nicht in Italien, ist aber dafür von einem echten Italiener komponiert worden. Es handelt sich um Giuseppe Verdi (1813-1901) und eine seiner beliebtesten Opern "La Traviata" aus dem Jahre 1853. Bereits der Titel, der frei übersetzt so viel wie "die vom Weg Abgekommene" bedeutet, gibt viel über die Handlung preis. Die Oper spielt in Paris in der zwielichtigen Welt einer Kurtisane (also einer Prostituierten für gehobene Kreise), die es liebt, rauschende Feste zu feiern, bei denen Wein in Bächen fließt. Ein solches Fest wurde von Verdi in Form einer Arie festgehalten und gehört seitdem zu den populärsten Musikstücken in der gesamten Opernliteratur.
Sie beginnt mit den wunderbaren Worten:
"Libiamo, libiamo libi ne' lieti calici
Che la bellezza infiora,
E la fuggevol ora
S'inebri a voluttà ..."
Che la bellezza infiora,
E la fuggevol ora
S'inebri a voluttà ..."
("O Freunde, nun leeret in vollen Zügen
den Kelch, den die Schönheit kredenzet,
und ehe die flüchtigen Stunden fliehen,
genießt diesen edlen Trank.")
Verdi hat in seinen späteren Jahren für die Oper "Otello" (nach Shakespeares Tragödie "Othello") noch eine weitere weltbekannte Trinkarie geschrieben. Diese singt der Bösewicht Jago, der zu Zeiten der venezianischen Besatzungsmacht auf Zypern im 15. Jahrhundert einen Hauptmann im Dienste zum Weintrinken animieren möchte, damit dieser vom Oberbefehlshaber Otello entlassen wird. Gleich zu Beginn der Arie bestellt Jago den Wein: "Qua, ragazzi, del vino!" Und dann beginnt die Animierung zum Trinken mit dem weltbekannten Refrain (Minute 0:48 der Hörprobe) mit den Worten:
"Chi all'esca ha morso
del ditirambo
spavaldo e strambo
beva con me! beva con me,
beva, beva, beva con me!"
del ditirambo
spavaldo e strambo
beva con me! beva con me,
beva, beva, beva con me!"
("Ein kleines Schlückchen kann
jeder vertragen,
wer's drauf will wagen,
trinke mit mir! Trinke mit mir!
Trinke, trinke, trinke mit mir!")
Die etwas freie Übersetzung lässt schon erahnen, dass auf diese Ansage kaum jemand nüchtern beleiben kann. Und in der Tat hat Jago Erfolg, denn der Hauptmann wird durch den Wein in sein eigenes Verderben gestürzt. Dies lässt sich auch im musikalischen Verlauf der Arie wunderbar nachvollziehen:
Nachdem wir nun einige herrliche italienische Weinarien gehört haben, die jedoch alle von der Opernhandlung her nicht in Italien stattfanden, wird es Zeit, mit einer Arie abzuschließen, die italienischer nicht sein könnte. Sie stamm aus Pietro Mascagnis (1863-1945) Meisterwerk "Cavalleria rusticana" aus dem Jahre 1890. Sie spielt in einem sizilianischen Dorf, wo Weinbau großgeschrieben wird. Die Hauptperson ist ein junger Mann namens Turiddu seines Zeichens (wie könnte es anders sein) Weinhändler. Dass er aufgrund einer Liebesintrige bald sterben muss, hindert ihn nicht daran, kurz vor Ende der Oper noch ein prächtiges Trinklied zum Besten zu geben mit den preisenden Worten:
"Viva il vino spumeggiante
Nel bicchiere scintillante,
Come il riso dell'amante
Mite infonde il giubilo!
Viva il vino ch'è sincero
Che ci allieta ogni pensiero,
E che annega l'umor nero,
Nell'ebbrezza tenera"
Nel bicchiere scintillante,
Come il riso dell'amante
Mite infonde il giubilo!
Viva il vino ch'è sincero
Che ci allieta ogni pensiero,
E che annega l'umor nero,
Nell'ebbrezza tenera"
("Schäumt der süße Wein im Becher,
winkt der Liebe Preis dem Zecher,
dann erfüllt der Sorgenbrecher
uns mit Mut und wonn'ger Lust.
Hoch der Wein, in ihm ist Wahrheit,
er gibt unserm Geiste Klarheit,
zeiget uns des Lebens Narrheit
rosig verklärt im süßen Rausch!")
winkt der Liebe Preis dem Zecher,
dann erfüllt der Sorgenbrecher
uns mit Mut und wonn'ger Lust.
Hoch der Wein, in ihm ist Wahrheit,
er gibt unserm Geiste Klarheit,
zeiget uns des Lebens Narrheit
rosig verklärt im süßen Rausch!")
Bevor dieses wunderbare Trinklied beginnt (in Minute 2:57 der Hörprobe) verlassen die tiefgläubigen Bewohner des sizilianischen Dorfes nach einer Ostersonntagsmesse die Kirche und wollen mit herrlichen Chorpassagen heimwärts ziehen. Doch Turiddu unterbricht sie am Dorfplatz weinselig mit seinem Trinklied:
Italien, das Land wo das süße Leben ("La dolce vita") herrscht, die Sprache wie Melodie klingt und Wein der Inspiration wahrer Quell ist. Es ist nahezu gleichgültig, ob diese Klischees nun stimmen oder nicht. Allein der Name "Italien" erzeugt Fernweh und lässt ein ideales Bild von einem Land entstehen, das es so vielleicht gar nicht gibt. Und dennoch ist dieses Bild der Garant, dass es mit der richtigen Musik und dem richtigen Wein für einen kurzen Moment Wirklichkeit werden kann.
Und genau das ist die Stärke der italienischen Kunst, Kultur sowie Kulinarik: dass sie weit in andere Länder strahlen und die Kraft besitzen, uns zu bereichern ... und gewisse Momente sogar zu vergolden.