Wer kennt die Gefahren der nahenden kalten Jahreszeit nicht? Die Sonnenstunden werden weniger, die Temperaturen fallen und immer mehr Krankheitserreger beginnen ihr Unwesen zu treiben und versuchen, dem brav arbeitenden Volk das Leben schwer zu machen. So ist es heute, so war es auch im Winter 1824/25. Damals versuchte ein ertaubter Komponist energisch sein neuestes Streichquartett abzuschließen, was ihm jedoch nicht so recht gelingen mochte, da die Arbeit an dem Werk immer wieder durch schwere Krankheit (vermutlich einem ernsten Darminfekt) unterbrochen wurde. Es handelte sich dabei um niemand Geringeren als Ludwig van Beethoven (1770-1827), der verzweifelt an seinem 15. Streichquartett in a-Moll (op.132) feilte.
Es muss für Beethoven ein unendlich kraftraubender Entstehungsprozess gewesen sein. Die Krankheit zehrte sehr an ihm und sorgte für die lange Verzögerung der Werksvollendung. Doch schließlich geschah etwas, das für Beethoven an ein Wunder grenzen musste und ihn neu aufleben ließ: die Krankheit wurde vollkommen überwunden. Und wie bei vermutlich jedem Genesenen stellte sich auch bei Beethoven tiefe Dankbarkeit und Demut für die neu gewonnenen Kräfte und die wiedererlangte Gesundheit ein.
Diesem glücklichen Umstand verdanken wir eine der wertvollsten Perlen der klassischen Musik ...
Beethoven beschloss nämlich, sein begonnenes Streichquartett umzukonzipieren und einen langen Satz in die Mitte des Werkes zu stellen, um seiner Dankbarkeit für die Genesung musikalisch Ausdruck zu verleihen. Dieser Satz trägt den eindringlichen Titel "Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart" und gehört nicht nur zu Beethovens großartigsten Werken sondern auch zu seinen persönlichsten. Selten hat der Meister so intime Einblicke in sein Seelenleben gewährt.
Der Satz beginnt mit einem zarten, fast fragilen Choral in der lydischen Tonart, der die noch schwache (doch wiedergewonnene) Gesundheit des Komponistens darstellen soll. Die Erleichterung und die tiefe Dankbarkeit hinsichtlich der überstandenen Krankheit ist in jedem Ton förmlich eingebettet. Und auch die Idee, eine alte Kirchentonart wie die lydische (F-Dur ohne b) zu verwenden, hatte sehr persönliche Gründe. Beethoven beschäftigte sich zu jener Zeit mit dem Renaissance-Komponisten Giovanni da Palestrina (1515-1594) und wollte diesem mit der damals noch gebräuchlichen Tonart huldigen. Zusätzlich ist die Tatsache, dass diese Tonart zu Beethovens Zeit bereits nicht mehr in Gebrauch war, ein mögliches Indiz dafür, dass sich Beethoven mit seiner Danksagung an andere, jenseitige Sphären wenden wollte.
Der tiefsinnige Choral endet in Minute 4:05 der Hörprobe und wird von einem Abschnitt abgelöst, den Beethoven mit den treffenden Worten "Neue Kraft fühlend" überschrieben hat. Es handelt sich hier um einen der glücklichsten und positivsten Einfälle des Komponistens. Man könnte fast meinen, der sonst vom Schicksal so gebeutelte Beethoven hat diese Melodie mit einem milden Lächeln niedergeschrieben. Es ist ein heiterer Tanz des Aufatmens, den wohl jeder Mensch, der eine schwere Krankheit überwunden hat, in irgendeiner Form nachvollziehen kann.
In Minute 6:26 folgt ein weiterer intensiver Choralabschnitt, der in Minute 10:18 erneut vom nun etwas reicher verzierten Abschnitt "Neue Kraft fühlend" abgelöst wird. Danach verklingt der Satz im Choralton und in tiefer Dankbarkeit über Minuten hinweg in fernen Sphären.
Dieses musikalische Bekenntnis lässt tief in Beethovens Seele blicken und zeigt, welche tiefen Täler meist durchschritten werden müssen, damit ein Meisterwerk sich formen kann. Dankbarkeit und wahre Freude sind oftmals nur im stillen Wissen um mögliches Leid denkbar. Dieses Wissen kann schlicht das Bewusstsein um die nicht vorhandene Selbstverständlichkeit von Gesundheit sein. Und durch den Entstehungsprozess dieses Werkes wissen wir, dass auch ein Gott der klassischen Musik im Grunde nur ein sterblicher Mensch war, der im Überwinden seiner Krankheit etwas Unsterbliches schuf.
Beethoven starb zwei Jahre später, seine Musik lebt bis heute fort.