Sonntag, 28. Dezember 2014

"Mozarts Haydn-Quartette: Die Königsklassik"

Gastartikel von Andreas Blatt


"Treffen sich zwei Violinen, eine Bratsche und ein Cello..."

Was wie der Anfang eines Musikerwitzes klingt, hat seine Pointe ausnahmsweise nicht bei der Bratsche, sondern im Ergebnis dieses Treffens: Dem Streichquartett.

Das Streichquartett gilt seit der Wiener Klassik als die bedeutendste Gattung der Kammermusik, und das aus gutem Grund. Eine der ungeschriebenen Regeln der klassischen Musik lautet: Wer ein Meister sein will, schreibe meisterhafte Quartette.


Auch wenn es zuvor bereits Kompositionen für diese Besetzung gab, gilt Joseph Haydn (1732-1809) als der "Erfinder" des Streichquartetts, da kein Komponist vor ihm die Form und Gestalt so stark beeinflusste. Dabei erwuchsen die ersten Quartette Haydns in der gängigen Besetzung aus dem Zufall: In der Zeit seiner ersten Quartette lebte und arbeitete er in Wien als Musiklehrer und Geiger und musizierte in dieser Funktion gelegentlich mit einigen Amateuren auf dem Anwesen eines Adeligen nahe der Stadt. Diese spielten – richtig – Geige, Bratsche und Cello.

Ob das Streichquartett wohl seine heutige Bedeutung erlangt hätte, wenn einer der Mitmusiker Tuba gespielt hätte?

Was das Streichquartett zur "Königsklasse" des Komponistenhandwerks macht, ist die Beschränkung: Mit vier Stimmen lässt sich herrliche Musik machen, jedoch rückt durch die knappe Besetzung die Melodie in den Vordergrund, und nur einem wahren Meister gelingt es, die Hörer zu verzaubern, ohne auf orchestrale Effekthascherei zu setzen.

Beginnen wir nun mit Haydns "Vogelquartett" in C-Dur (op.33, Nr.3). Man lausche den vier Musikern bei ihrer Arbeit:




Die in diesem Zyklus op.33 enthaltenen sechs Werke wurden von Haydns Zeitgenossen als das "definitive" Muster für Streichquartette angesehen und riefen einen anderen Großmeister auf den Plan: Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791).

Mozart und Haydn waren einander in Freundschaft verbunden und die Veröffentlichung von Haydns "Russischen Quartetten" (op. 33 war einem russischen Fürsten gewidmet) beeindruckte Mozart so sehr, dass er sechs von Haydn inspirierte Streichquartette schrieb, mit denen er seinem Freund ein Denkmal setzen und sich ebenbürtig zeigen wollte.

Als Haydn bei einem gemeinsamen Musenabend zum ersten Mal die Quartette zu hören bekam, war er so überwältigt, dass er bei nächster Gelegenheit jene unsterblichen Worte zu Mozarts Vater Leopold (1719-1787) sagte:

Ich sage ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat Geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft.“

Um uns davon zu überzeugen, lauschen wir nun dem vierten Satz aus Mozarts erstem "Haydn-Quartett" in G-Dur (KV 387), wo jedes einzelne der vier Instrumente besonders schön in mehrstimmigen Abschnitten zum Vorschein kommt und in Mozarts meisterhaften melodischen Eingebungen kulminiert:




In diesen Haydn-Quartetten läuft Mozart zu wahrer Hochform auf und zeigt, dass er sich seinen Ruf als Genie mehr als verdient, so zum Beispiel auch im lyrischen zweiten Satz des sogenannten "Dissonanzenquartett" (KV 465): 




In Musikerkreisen wird dieses Quartett auch gerne "Caroline" genannt; das wunderbare Thema des 2. Satzes (ab 0:54) zeigt uns weshalb.

Ein anderes Beispiel für die Meisterschaft Mozarts ist das Quartett in Es-Dur (KV 428), dessen getragenen zweiten Satz manche Kommentatoren als einen frühen Gruß aus der Romantik betrachten.




Doch wie wir bereits oben hören konnten, schrieb nicht nur Mozart großartige Quartette. Die Gabe seines Freundes spornte Haydn selbst wiederum zu Höchstleistungen an, weshalb man bei ihm oft auch von der "vor-" und "nach-Mozart"-Phase spricht. Bis ins hohe Alter komponierte er noch zahlreiche Quartette, mit denen er die Grenzen dieser Form immer weiter auslotete, so zum Beispiel im "Quintenquartett" aus op. 76:




Seit der Zeit dieser beiden Großmeister versuchen sich die Großen der Musik am Streichquartett. Nicht ohne Grund sollen spätere Meister wie Ludwig van Beethoven (1770-1827) oder Johannes Brahms (1833-1897) zögern, bevor sie sich im Stande fühlten, auf dem von Haydn und Mozart vorgegebenen Niveau Streichquartett-Beiträge zu liefern. (Brahms soll sogar viele frühe Streichquartette von sich vernichtet haben, bevor er sich erste zu veröffentlichen getraute.) 

In dieser Hinsicht sollte Joseph Haydn, der "Godfather" des Streichquartetts Recht behalten, als er einmal sagte:

Oh Gott, wie viel ist noch zu tun in dieser herrlichen Kunst!“



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