Sonntag, 8. Februar 2015

"Heilige Musik - Mozart gegen den Vatikan"


Seit jeher war der Vatikan von Mythen und Legenden umrungen. Unergründliche Geheimnisse schienen in ihm verborgen, welche niemals die heiligen Hallen verlassen durften. So war es auch mit einem Chorwerk aus der Spätrenaissance, das nur für die Karwoche im Vatikan bestimmt und dessen Verbreitung strengstens verboten war. Doch trotz aller Sicherheitsvorkehrungen rechnete der gesamte Kirchenstaat nicht mit dem Genie eines Jungen, dem es nach fast 150 Jahren gelingen sollte, dieses Werk dem Bann des Vatikans zu entreissen. 

Dieser Junge war kein Geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791).


Das Pontifikat von Papst Urban VIII. (1623-1644) fiel in eine Zeit voller Umbrüche: Der dreißigjährige Krieg trieb in Europa sein Unwesen, Gallileo Gallilei musste seine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor der Kirche abschwören, der Petersdom wurde nach 120 Jahren Bauzeit endlich fertiggestellt und die Renaissance war langsam endgültig in den Barock übergegangen. In diesem turbulenten historischen Umfeld sollte eines der reinsten und himmelsnahsten Chorwerke, das je komponiert wurde, entstehen: das "Miserere" von Gregorio Allegri (1582-1652).

Allegri war Priester und darüber hinaus auch ein begabter Sänger wie Komponist. Als Papst Urban VIII. auf ihn aufmerksam wurde, machte dieser ihn 1629 zum Chormitglied der Sixtinischen Kapelle und gab eine Komposition in Auftrag, die in der Karwoche (also in Jesus Kreuzigungswoche) im Vatikan erklingen sollte. Was Allegri, der sich der Wichtigkeit dieses Auftrages wohl bewusst war, mit dieser Komposition gelang, war ein neunstimmiges Meisterwerk ohne Seinesgleichen. Es war der letzte Höhepunkt von reinster Renaissancemusik, welcher die heiligen Hallen des Vatikans mit den klarsten Stimmen eines vom Himmel herabschwebenden Engelschores zu füllen vermochte.

Papst Urban VIII. war von diesem Werk derart ergriffen und begeistert, sodass er zwei Beschlüsse fällte: Dieses Werk soll ab sofort jährlich in der Karwoche erklingen, allerdings nur im Vatikan. Der Papst betrachtete es als derart vollkommen, dass er es mit niemandem mehr teilen wollte. (Soviel zum Thema Nächstenliebe!) Das Kopieren der Noten sowie das Aufführen an anderen Orten wurde per Exkommunikation verboten.

Das päpstliche Wort war Gesetz. Das himmlische Meisterwerk war somit lediglich dem Vatikan vergönnt und wurde darüber hinaus streng geheim gehalten.

Im Grunde müsste dies das Ende des Artikels sein! Doch ist es das auch?

Das "Miserere" von Allegri wurde in der Tat fast 150 Jahre ausschließlich im Vatikan aufgeführt und drang nie in die Außenwelt. Dass dieses Werk mit der Zeit eine magische Aura und eine enorme Legendenbildung erfuhr, ist nachvollziehbar. Von dieser Legende erfuhr auch ein gewisser Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), der in den frühen 1770er Jahren mit seinem Vater mehrere Italienreisen unternahm. Bei einer wurde der 14- jährige Mozart sogar vom Papst persönlich empfangen. (Dieser war zu diesem Zeitpunkt naturgemäß nicht mehr Urban VIII., sondern ein Clemens XIV.) 

Wie es der Zufall so wollte, fand dieses Treffen in der Karwoche statt und wurde mit einer Aufführung von Allegris "Miserere" in der Sixtinischen Kapelle gekrönt, der auch Mozart beiwohnen durfte. Auch Mozart muss tief ergriffen von diesem Werk gewesen sein, denn er tat nach dem Konzert in seinem stillen Kämmerlein etwas Geniales: Er schrieb das gesamte eben gehörte "Miserere" eins zu eins aus seinem Gedächtnis nieder und verließ mitsamt den Noten (und viel jugendlicher Unbefangenheit) den Vatikan, um seine Italienreise fortzusetzen. Auf dieser Reise traf er noch dazu einen englischen Verleger, dem er die Noten aushändigte und welcher das Werk kurz darauf veröffentlichte.

Mit einem Talent wie Mozart hatte der Vatikan nicht gerechnet! 

Eine fast 150-jährige Tradition mit streng gehütetem Geheimnis wurde von einem unbefangenen Wunderkind gebrochen. Dieses Geheimnis war somit unwiderruflich gelüftet und die Mauern des Vatikans durch Mozarts etwas leichtfertiger Muse undicht gemacht. Seitdem erklingt das Werk weit über den Kirchenstaat hinaus.

Doch was geschah mit Mozart? Bekam er die volle Härte der Kirche durch diese Tat zu spüren?

Die Antwort lautet: Nein! Der Papst war sehr angetan von Mozarts Genie und verzieh ihm dieses Vergehen gerne. Mozart wurde von ihm sogar zum "Ritter vom goldenen Sporn" ernannt und der Bann des Werkes wurde kurz nach der Veröffentlichung aufgehoben.

Was übrig bleibt, ist fantastische Musik, die nicht nur einen krönenden Abschluss einer Epoche bildet, sondern zugleich ein unauslöschliches Zeugnis ist, wozu Menschenhand fähig sein kann. Vielleicht handelt es sich bei diesem Werk wirklich um ein tönendes Fenster zum Himmel, verkündet von einem Engelschor, das abseits von vielen Päpsten (und Mozart) nun auch uns zu Teil werden kann: