Heinrich Isaac (1450-1517) war ein gut vernetzter Komponist an den Höfen der Renaissance. Er war viele Jahre Musiklehrer der Kinder von Lorenzo I. de' Medici (1449-1492) in Florenz und später Komponist bei den Habsburgern in Innsbruck und Wien unter Maximilian I. (1459-1519). Durch diese Verbindungen gelang es ihm, die musikalischen Errungenschaften Italiens über die Alpen in den deutschsprachigen Raum zu bringen. Speziell die Stadt Innsbruck spielte hierfür eine bedeutende Rolle. Und dieser setzte er in einem seiner Werke auch ein wunderbares Denkmal, das Lied "Innsbruck, ich muss dich lassen".
Der Text des Liedes ist von ergreifender Zeitlosigkeit. Es ist ein Abschiedslied von jemandem, der seine Liebe in Innsbruck zurücklassen muss. Er verspricht ihr ewige Treue und wünscht ihr Gottes Schutz, damit es ihr gut ergeht, bis er wieder zurückkehrt.
Innsbruck, ich muß dich lassen,
ich fahr dahin mein Straßen,
in fremde Land dahin.
Mein Freud ist mir genommen,
die ich nit weiß bekommen,
wo ich Elend bin.
ich fahr dahin mein Straßen,
in fremde Land dahin.
Mein Freud ist mir genommen,
die ich nit weiß bekommen,
wo ich Elend bin.
Groß Leid muß ich ertragen,
das ich allein tu klagen
dem liebsten Buhlen mein.
Ach Lieb, nun laß mich Armen
im Herzen dein erwarmen,
daß ich muß dannen sein.
das ich allein tu klagen
dem liebsten Buhlen mein.
Ach Lieb, nun laß mich Armen
im Herzen dein erwarmen,
daß ich muß dannen sein.
Mein Trost ob allen Weiben,
dein tu ich ewig bleiben,
stet, treu, der Ehren frumm.
Nun muß dich Gott gewahren
in aller Tugen sparen,
bis daß ich wiederkumm.
dein tu ich ewig bleiben,
stet, treu, der Ehren frumm.
Nun muß dich Gott gewahren
in aller Tugen sparen,
bis daß ich wiederkumm.
Isaacs Vertonung (um das Jahr 1495) ist schlicht und zurückhaltend, voll tragender Trauer wie es dem Ernst des Anlasses entspricht. Seufzermotive am Ende jeder Strophe in Form eines Melismas (wie beim Wort "Elend" in Minute 0:41-0:48 der ersten Hörprobe) unterstreichen den tiefen, ehrlichen Abschiedsschmerz und geben dem Kummer fast fühlbaren Ausdruck:
Da heutzutage unsicher ist, welche Begleitinstrumente zur Zeit der Renaissance zum Einsatz kamen, weil dies vom Komponisten nicht exakt am Notenblatt vermerkt wurde, variieren diese oft von Interpretation zu Interpretation. Das gilt auch für die folgende Hörprobe, wo dem sehnsuchtsvollen Lied ein wunderbares Lautenspiel vorangestellt und ein gemischtes Ensemble zugrunde gelegt wurde:
Das Lied erhielt nicht nur hinsichtlich der Instrumente unterschiedliche Fassungen, sondern wurde auch als geistliches Lied neu ausgelegt. So hielt es im 16. Jahrhundert Einzug in die lutherischen Choräle unter dem Titel "O Welt, ich muss dich lassen" und wurde im gesamten protestantischen Raum als Kirchenlied bekannt.
Die Krönung in der Rezeptionsgeschichte diesbezüglich gelang wohl keinem Geringeren als Johann Sebastian Bach (1685-1750) in seiner geistlichen Kantate "In allen meinen Taten" (BWV 97) aus dem Jahre 1734. Er griff im Eingangschor und im Abschlusschoral der Kantate (Minute 0:00 bzw. 26:09 der folgenden Hörprobe) auf die Melodie des Liedes zurück und verarbeitete sie mit barocker Meisterschaft:
Doch auch in der Spätromantik inspirierte die schlichte Melodie des Liedes große Komponisten. Bei Johannes Brahms (1833-1897) bildete sie in gewissem Sinne den Abschluss seines umfangreichen Schaffens. Er komponierte 1896 ein Choralvorspiel zu "O Welt, ich muss dich lassen" (op.122) für Orgel. Wenig später schied er selbst von dieser Welt. Es war sein letztes Werk und sein stiller Abschied zugleich:
Doch auch wenn die Rezeption des Liedes von Heinrich Isaac transzendentale Dimensionen wie bei Bach und Brahms erreichte, so waren dessen Ursprünge doch zutiefst weltliche: die Liebe zu einem Menschen, der Trennungsschmerz und die Sehnsucht nach Wiederkehr.
Das Lied entstand zur Zeit der Renaissance in Innsbruck.
Sein Inhalt erreicht uns heute noch, wo auch immer wir uns befinden.
Sein Inhalt erreicht uns heute noch, wo auch immer wir uns befinden.
(für Milica)