Wenn ein Jüngling seine eigene Schaffenskraft entdeckt und ungestüm zur Tat schreitet, um sich zu beweisen, so kann etwas Großes dabei entstehen. Wenn der junge Schaffende jedoch Wolfgang Amadeus Mozart heißt, so muss man sich wohl auf neue Maßstäbe gefasst machen. So war es auch, als er sich vierzehnjährig einer Gattung zuwandte, die damals noch nicht älter war als er selbst, doch bald zur Königsdisziplin der Kammermusik avancieren sollte: Mozart schrieb sein erstes Streichquartett.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) unternahm von Dezember 1769 - März 1771 gemeinsam mit seinem Vater Leopold Mozart (1719-1787) eine Italienreise, um an den großen Fürstenhöfen und auch im Vatikan vorzuspielen. Am 15. März 1770 übernachteten die Mozarts auf der Fahrt von Mailand nach Parma in der Bischofsstadt Lodi in der Lombardei. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, welch ein wunderbares Ereignis in jener Nacht geschehen sollte: Der gerade erst vierzehnjährige Mozart wurde von der Muse geküsst und schrieb innerhalb weniger Stunden drei Sätze eines Streichquartettes in G-Dur (KV 80). Es war Mozarts erste Auseinandersetzung mit dieser königlichen Gattung, welche selbst erst wenige Jahre zählte, da Joseph Haydn (1732-1809), der als Begründer des modernen Streichquartettes gilt und später Mozarts väterlicher Freund wurde, seine ersten Quartette Mitte der 1750er Jahre um die Zeit, als Mozart geboren wurde, komponierte.
Was dem jungen Mozart in jener Nacht gelang, ist von atemberaubender Vollendung
und Frische. Es ist ein frühes Meisterwerk, das uns mit seiner Klarheit
und Eleganz in Dankbarkeit und Demut den großen Weg erahnen lässt, der
Mozart in seinem leider allzu kurzen Leben damals noch bevorstand:
Mozart komponierte das Finale zu diesem Quartett, den vierten Satz, wenige Jahre später und
nahm die gesamte Komposition 1777 als vollgültiges Werk und Zeugnis seines Könnens auf eine Reise
nach Paris mit. Er schien mit dem Werk zufrieden gewesen zu sein, das er der Inspiration einer Nacht verdankte und das einen Jüngling zur ersten frühen Reife führte.
Benjamin Britten (1913-1976) war eine zentrale Figur der klassischen Musik Großbritanniens des 20. Jahrhunderts. Ihm gelang das Meisterstück, die britische Operntradition 250 Jahre nach dem letzten britischen Großmeister Henry Purcell (1659-1695) zu reaktivieren und erneut zu internationalem Ruhm zu führen. Doch auch darüber hinaus war Britten ein vielseitiger Komponist und schuf in fast allen Bereichen der klassischen Musik bedeutende Beiträge. Dies blieb auch der königlichen Familie nicht verborgen und so ergab es sich, dass Britten zur Krönung von Queen Elizabeth II. (*1926) im Jahre 1953 die Erlaubnis erhielt, eine Oper zu komponieren. Dieser ehrenvollen Aufgabe kam Britten traditionsbewusst nach und schuf dabei Großes.
Die Oper, die Benjamin Britten zur Krönung Elizabeth II. komponierte und dieser auch widmete, hieß "Gloriana"(op.53) und beschäftigt sich gemäß des Anlasses mit der Geschichte und Tradition des britischen Königreiches. Die Handlung spielt im späten 16. Jahrhundert während der Regentschaft einer Amtsvorgängerin namens Queen Elizabeth I.(1533-1603). Die Regentschaft von Eliszabeth I. (von 1558 bis 1603) ging als "The Golden Age" in die Geschichtsbücher ein, was zumindest für Kunst und Kultur berechtigt scheint, da damals in vielen Bereichen eine Blütezeit entstand. Davon zeugen beispielsweise der Komponist John Dowland (1563-1626), der Dichter William Shakespeare(1564-1616) und der Philosoph Sir Francis Bacon (1561-1626).
Brittens Oper "Gloriana" beschäftigt sich mit den schwierigen Pflichten, die das Amt einer Königin mit sich bringt und vermengt dieses mit dem Gefühlsleben der Monarchin. Britten versucht in der Oper die Unvereinbarkeit von moralischem Prinzip und leidenschaftlicher Neigung herauszuarbeiten, woran Elizabeth I. gescheitert sein soll. Dies ist für die Krönung einer künftigen Monarchin ein durchaus kühnes und spannendes Thema. Doch noch spannender ist die Musik, denn hier gelang Britten eine einzigartige Verschmelzung von moderner Klassik mit altenglischer Musik der elisabethanischen Zeit.
Hinsichtlich der historisierenden Musik unterscheidet sich Britten fundamental von anderen großen Opernkomponisten wie Giuseppe Verdi (1813-1901) oder Giacomo Puccini (1858-1924), welche auf die traditionell überlieferte Musik ihres Opernsujet kaum oder gar keine Rücksicht nahmen. In dieser Hinsicht war Britten vollkommen anders, da er sich in seinem Schaffen zutiefst der britischen Tradition verpflichtet fühlte, diese in seiner eigenen Sprache weiterführte und etwas Neues dabei entstehen ließ. Darin lag vielleicht Brittens Genie, dass ihm die Balance zwischen alt und neu gelang und dabei doch immer ein Original blieb.
Um nun eine Hörprobe als Beweis des Gesagten ins Felde zu führen, sei die Orchestersuite op.53a bestehend aus den "Höfischen Tänze" ("Courtly Dances") der Oper nun zu Gehör gebracht. Diese Suite hat auch unabhängig der Oper Einzug in den Konzertsaal gefunden und belegt Brittens erfrischende Erfindungskraft sowie seine sensible Handhabung der britischen Musiktradition vergangener Epochen:
Was hielt nun Queen Elizabeth II. von dieser Oper?
Auch wenn die Oper bei der Uraufführung beim Publikum nur verhaltene Aufnahme fand, gefiel sie der Queen doch sehr. Die Queen erkannte wohl Brittens Stellenwert in der britischen Musiktradition und in der klassischen Musik allgemein. Beider Wege werden sich bis zu Brittens Tod im Jahre 1976 immer wieder kreuzen und die Queen wird stets ihre schützende Hand über ihn halten. Doch die Wertschätzung bestand wohl auf beiden Seiten. Im Jahre 1961 arrangierte Britten die britische Nationalhymne "God save the Queen", welche die Lieblingsfassung von Queen Elizabeth II. werden sollte:
Der August-Artikel soll in aller Stille Dr. Gerhard Hammerschmied (1953-2016) gewidmet sein, welcher im Juli dieses Jahres von uns gegangen ist und dessen Geburtstag heute gewesen wäre. Er war seines Zeichens Philosoph, kritischer Theologe, Autor und Übersetzer, mit dem mich eine langjährige Korrespondenz über Kunst und Kultur verband und der nicht müde wurde, mein offenes, wissbegieriges Ohr mit wohlwollenden und weitsichtigen Anregungen zu bereichern. All diese Anregungen, die stets meinen musikalischen als auch literarischen Horizont formten und mitgestalteten, können nur in tiefer Dankbarkeit weitergetragen werden. Viele davon haben sich nicht nur in meinem Bücherregal oder meiner Musikbibliothek niedergeschlagen, sondern auch in dem einen oder anderen Artikel dieses Blogs.
Gerhard, deine Stimme wird fehlen ...
"... aber der nachschwingend im Schweigen hängende Ton, der nicht mehr ist, dem nur die Seele noch nachlauscht, und der Ausklang der Trauer war, ist es nicht mehr, wandelt den Sinn, steht als ein Licht in der Nacht."
Wo Sprache keinen Ausdruck mehr kennt, klingt Musik als Vermittler fort.
Und wo ein aufgeschlossenes Herz weilt, wird Musik verstanden werden ...
Seit jeher war Musik das Mittel, um große Gefühle zu transportieren und dem Erhabenen Ausdruck zu verleihen. Vor allem für das Gefühl der Trauer war Musik stets ein Ventil, das innerste Empfinden nach außen zu kehren und schonungslos mit der Mitwelt zu teilen. Speziell in der klassisch-romantischen Musiktradition entstanden auf diese Weise Meisterwerke, die in Form von Trauermusik einen Grad an Intensität erreichten, der einzigartig in der Geschichte der abendländischen Kunst ist. Und von nichts Geringerem soll nun die Rede sein.
Den Beginn soll Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) machen. Mozart wird oftmals als heiterer Komponist der leichten Muse dargestellt und so verwundert es, warum er im Rahmen dieses Artikels Erwähnung findet. Das lässt sich sehr einfach beantworten: Dieses überlieferte Bild ist schlicht und ergreifend grundfalsch. Gerade Mozarts Werk zeichnet sich besonders durch Vielschichtigkeit und Nuancenreichtum aus. Mozart war sich allen Facetten des Lebens bewusst und entsprechend schlug sich dies in seiner Musik nieder. An Abgünden von zarter Melancholie bis hin zu tiefer Resignation mangelt es in Mozarts Schaffen nicht. Als ein berühmtes Beispiel hierzu gilt seine "Maurerische Trauermusik" KV 477 in der düster-tragischen Tonartc-Moll. Mozart (selbst Freimaurer) komponierte dieses Werk im Jahre 1785 anlässlich des Todes zweier Logen-Brüder. In dieser tiefsinnigen Komposition zeigt Mozart seine Meisterschaft, da im dunklen Klang nicht nur Schmerz und Trauer verarbeitet werden, sondern gleichzeitig tiefer Trost und stille Hoffnung mitschwingen dürfen:
Was Trauermusik betrifft, darf Ludwig van Beethoven (1770-1827) nicht fehlen, denn er schrieb einen der monumentalsten Trauermärsche als zweiten Satz seiner 3. Symphonie. Diese Symphonie entstand wohl in den Jahren 1802-1803 und sollte ursprünglich dem damals ersten Konsul der französischen Republik gewidmet werden: Napoleon Bonaparte (1769-1821). Als dieser sich jedoch im Jahre 1804 selbst zum Kaiser krönte, vernichtete Beethoven erbost die Titelseite der Symphonie mitsamt der Widmung. Als die Partitur später im Druck erschien, stand auf der Titelseite lediglich: "Sinfonia eroica, composta per festeggiare il souvenire di un grand'uomo" ("Heroische Symphonie zur Erinnerungsfeier für einen großen Mann").
Und heroisch war besonders der zweite Satz dieser Symphonie, welcher als "Marcia funebre" ("Trauermarsch") bezeichnet wurde. Es war das erste Mal, dass ein Trauermarsch Bestandteil eines symphonischen Zyklus wurde. Wenige Jahre zuvor schrieb Beethoven im Rahmen seiner Klaviersonate op.26 ebenfalls einen Trauermarsch mit dem Titel "sulla morte d'un eroe" ("auf den Tod eines Helden"), doch lässt sich nicht genau feststellen (weder für die Symphonie noch für die Sonate) auf welche Person die Trauermusik konkret bezogen sein könnte.
Der Trauermarsch gehört wie gesagt zum Monumentalsten, was Beethoven komponiert hat, und steht wie Mozarts Trauermusik in der düster-tragischen Tonartc-Moll.Dieser Satz folgt im Prinzip der dreiteiligen Liedform: dem düsteren c-Moll Hauptthema folgt ein Mittelabschnitt in lichtem, hoffnungsvollem C-Dur (Minute 5:10 der Hörprobe), das von dem Beginn der Reprise (in Form des Marschthemas) abgelöst wird. Die Reprise mündet in ein unglaublich spannungsgeladenes, intensives Fugato. In diesem Fugato (Minute 8:26 der Hörprobe) beweist Beethoven seine polyphone Meisterschaft und schwingt sich zu den höchsten Höhen der musikalischen Ausdruckskraft empor. Der heroische Satz endet mit einer ausgedehnten Coda, die mit immer stummer werdenden Seufzerfiguren und mit Wiederaufkommen des Marschthemas langsam erlischt.
Richard Wagner (1813-1883) arbeitete an seiner Oper-Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" (mit einer Aufführungsdauer von ungefähr 16 Stunden) von 1848-1874. Zu Beginn dieses Mammut-Projektes war er sehr von der Philosopohie Ludwig Feuerbachs (1804-1872) beeinflusst. Laut Feuerbach sind (etwas vereinfacht formuliert) Götter lediglich Projektionen der freien Schöpferkraft des Menschen. Demnach solle das Ziel sein, die Idee des freien Menschen die Stelle der Religion einnehmen zu lassen. Für Wagner war im Ring (in Abkehr vom christlichen Glauben) die Verkörperung des freien Menschen Siegfried. In Wagners Tetralogie war es Siegfied gelungen, als Nachfahre der Götter (Göttervater Wotan war sein Großvater) sich (unbewusst) vollkommen von ihnen zu emanzipieren. Dies war ein wichtiger Schritt, da die Götter längst aufgrund ihrer Unvereinbarkeit von Liebe und Macht gescheitert waren und die tiefere Wahrheit des Lebens verfehlt hatten. Leider fehlte es Siegfied an Klugheit und Wissen, mit seiner (unbewusst) erworbenen Freiheit verantwortungsvoll umzugehen und so wurde er Opfer einer Intrige aus Neid und Machtgier. Siegfried wurde ermordet, noch bevor er von seiner Freiheit in Form von Erkenntnis Gebrauch machen konnte.
"Der Ring des Nibelungen" stellt also eine wunderbare Parabel zwischen dem Verhältnis von freien Willen und Religion, von Liebe und Macht dar. Den tragischen Höhepunkt bildet im letzten Teil der Tetralogie, der "Götterdämmerung", nun eben Siegfieds Tod. Darauf folgt Siegfrieds Trauermarsch, eine der wohl größten Kompositionen Wagners, die an erschütternder Stimmungsdichte kaum zu überbieten ist. Bezeichnenderweise ist dieser Teil des Rings rein instrumental gestaltet. Wagner verzichtet hier auf jedes Wort, da dieser tiefe Einschnitt ins Werk offenbar nur mit Musik vermittelt werden konnte. Der Trauermarsch steht wie bei Mozart und bei Beethoven in der düster-tragischen Tonartc-Moll.
Zum Aufbau der Musik muss man wissen, dass Wagner in seinem Ring mit Leitmotiven arbeitete, wie in keiner anderen seiner Opernwerke. Jede Person, jeder Gegenstand, jedes Empfinden besitzt sein eigenes musikalisches Motiv, das sich durch alle vier Teile des Rings ("Rheingold", "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung") erstreckt und beim Erscheinen oder Erwähnen der Person, des Gegenstandes, des Empfindens in irgendeiner Form musikalische Verarbeitung findet. Aus diesem Grund besteht auch Siegfrieds Trauermarsch aus einer Fülle dieser Motive, da hier viele Empfindungen und Handlungsstränge kulminieren. Es sei hier lediglich auf die wichtigsten Motive verwiesen: Nach einer kurzen Einleitung erklingt in Minute 1:23 in seiner vollen Stärke das "Todes-Motiv", gefolgt von jenem des "Rheingoldes" in Minute1:39. Nach erneutem Erscheinen des "Todesmotives", erklingen mehrer kleinere Motive aus dem zweiten Teil der Tetralogie, der "Walküre". Das nächste markante Thema ist Siegfrieds "Schwert-Motiv", das ab Minute 3:52 in rhythmischer Verbreiterung erklingt und triumphal (in leuchtendem C-Dur) in eine Überlagerung mit dem "Todes-Motiv" mündet. Darauf erklingt ab Minute 4:28 heroisch in düsterem c-Moll durch die Blechbläser (darunter auch eigens angefertigte "Wagner-Tuben") das eigentliche "Siegfried-Motiv", mündet erneut in das nach Dur gewandte "Todes-Motiv" und erlebt monumentale Verbreiterung. Daraufhin verebbt langsam der Trauermarsch mit dem trostspendenden "Liebes-Motiv" von Siegfrieds trauernder Gattin Brünnhilde (ab Minute 6:12) sowie mit dem zart nachbebendem "Siegfried-Motiv". Ein Stück epochale Musik geht so mit einem Funken Hoffnung und stillem Trost zu Ende.
Die nächste Trauermusik, die hier präsentiert werden soll, hat ebenfalls etwas mit Richard Wagner zu tun. Allerdings behandelt diese nun nicht Siegfrieds Tod, sondern seinen eigenen. Die Musik stammt von dem glühenden Wagner-Verehrer Anton Bruckner (1824-1896). Es handelt sich um den zweiten Satz seiner 7. Symphonie, der im Gedenken an Wagner vollendet wurde, nachdem Bruckner während dessen Komposition von Wagners Ableben im Februar 1883 erfahren musste. Bruckners tiefe Erschütterung spiegelt sich in der Musik wider, welche im entrückten und selten verwendeten cis-Moll steht. Doch trotz dieser entrückten, düsteren Grundtonart, brechen immer wieder lichte Dur-Momente hervor, die hoffnungsvoll Trost zu spenden suchen. Und entsprechend ist dieser Satz auch zu sehen, den Bruckner mit "sehr feierlich und sehr langsam" zu spielen vorgab.
Diese monumentale, intensive Musik kennt nicht ihresgleichen und ist im Grunde selbstsprechend. Eine Anmerkung sei jedoch hinsichtlich der Instrumentation gemacht: Bruckner verwendet hier als Hommage zum ersten Mal "Wagner-Tuben" im Orchester, die ursprünglich eigens für Wagners Ring angefertigt wurden.Diese sind es auch, die zum Klagegesang auf den verstorbenen Meister in Minute 19:55 anheben, als Bruckner während der Komposition die Mitteilung von Wagners Tod ereilt hat. Dies ist Bruckners tiefe Verneigung vor seinem verehrten Meister und der endgültige Abschied zugleich. Ergreifenderes wurde selten in Musik gefasst.
Den Abschluss bildet der einleitende Trauermarsch der 5. Symphonie von Gustav Mahler (1860-1911), der "In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt." erklingen soll. Dieser hat die Tonart von Bruckners Trauermusik für Wagner gemeinsam, nämlich cis-Moll. Auch zu Beethoven lassen sich Parallelen ziehen, da diese 5. Symphonie viele Gemeinsamkeiten mit Beethovens eigener 5. Symphoniein c-Moll (vergleiche hierzu den Artikel "Beethoven und Harnoncourt - Befreiung vom Schicksal" vom 24.5.2015) besitzt: Die Trompeten-Fanfare am Beginn des Satzes verweist rhythmisch auf die berühmten einleitenden Takte von Beethovens 5. Symphonie. Und das Gesamtkonzept von Mahler in dieser Symphonie entspricht ebenfalls jenem Beethovens, nämlich "Durch die Nacht zum Licht". Die düsteren Moll-Tonarten der einleitenden Sätze erleben im Verlauf der Symphonie einen Wandel, sodass diese letztlich in strahlendem Dur enden. Somit stehen auch hier Hoffnung und Trost abschließend im Vordergrund.
Der Mensch ist zu großen Gefühlen fähig. Die Kunst verleiht ihm die Möglichkeit, sein Empfinden in Form eines Gedichtes, eines Gemäldes oder eines Musikwerkes darzustellen, um etwas Großes zu schaffen und dieses Große mit anderen zu teilen. Hierzu ist die Musik wohl die intensivste und unmittelbarste Form der Weitergabe tiefer Gefühle. Und vielleicht ist das Größte, das gelingen kann, jene Gabe, wenn Musik aus der Erfahrungswelt eines Menschen in jene eines anderen dringt und diese verändert, bereichert, ja vielleicht sogar heilt.
Wo Worte enden, beginnt die Musik.
Wo Sprache keinen Ausdruck mehr kennt, klingt Musik als Vermittler fort.
Und wo ein aufgeschlossenes Herz weilt, wird Musik verstanden werden ...
Dass Dichtung und Musik sich wechselseitig beeinflussen, mag auf der Hand liegen. Dass aber die Dichtung den entscheidenden Impuls setzt, um der Musik neue Tore zu öffnen, mag einer Erklärung bedürfen. Es war schließlich die Vertonung eines Gedichts, welche eine heftige Debatte um die symphonische Form auslöste, die kaum einen Komponisten kalt lassen konnte. Ludwig van Beethoven (1770-1827) tat den ersten Schritt, Richard Wagner (1813-1883) zog seine eigenen Schlüsse daraus und am Ende blieb kein Stein auf dem anderen.
Als Richard Wagner im Jahre 1839 nach Paris kam, befand er sich in einer ausweglosen Lage: Er hatte seine letzte Anstellung als Kapellmeister in Riga verloren und musste mit seiner Frau aus Angst vor Gläubigern Hals über Kopf und finanziell nahezu mittellos fliehen. Das Ziel seiner Flucht sollte Paris sein, da hier zur damaligen Zeit das Opernwesen blühte und Wagner sich neue Aufträge und neue Einkommensquellen erhoffte. Diese Hoffnung sollte sich jedoch als vergebens erweisen. Seine Geldnot linderte sich kaum und er durchlebte eine seiner bittersten Zeiten.
Dennoch kam es in dieser Zeit zu einem entscheidenden Ereignis, das seiner Inspiration mehr als zuträglich sein sollte: Er erlebte in Paris eine Aufführung von Ludwig van Beethovens 9. Symphonie op.125 in d-Moll, welche im Jahre 1824 uraufgeführt wurde. Wie einschneidend dieses Erlebnis für Wagner gewesen war und wie gewaltig die Wucht von Beethovens Klangkosmos auf ihn gewirkt hatte, kann man einem Artikel anlässlich einer eigenen Aufführung der 9. Symphonie seitens Wagner wenige Jahre später entnehmen:
"Es ist nicht möglich, daß je das Werk eines Meisters mit solch'
verzückender Gewalt das Herz des Schülers einnahm, als wie das meinige
vom ersten Satze dieser Symphonie erfaßt wurde."
(Wagner, "Zu Beethovens 9. Symphonie", 1846)
Und es war tatsächlich der erste Satz von Beethovens 9. Symphonie, der den Boden für Wagners neue Wege bereitete. Wie sich zu Beginn aus dem Chaos, aus dem Nichts plötzlich ein Klangmonument selbst gestaltet, so formte sich damals wohl auch in Wagner eine Vision der Möglichkeiten seiner künftigen Musik:
Doch mindestens genauso erschütternd muss für Wagner der vierte Satz, das Finale, gewesen sein. Hier sprengte Beethoven die klassischen Konventionen der Symphonik und ging über die Grenzen der absoluten Musik hinaus: Er stellte dem Orchester einen gleichberechtigten Chor zur Seite, für den er das Gedicht "An die Freude"("Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium") von keinem Geringeren als Friedrich Schiller (1759-1805) vertonte. Das war die glorreiche Geburtsstunde der symphonischen Kantate, der Verschmelzung von Dichtung mit absoluter Musik. Seitdem war das Genre der Symphonie dramatisch erweitert und für immer verändert.
Wagner sah in diesem Konzert 1839 wohl seine große Stunde: Er betrachtete Beethovens 9. als Vollendung der klassischen Symphonik und gleichzeitig als deren Überwindung. Somit sei dieses Genre mit Beethoven zum Höhepunkt gebracht und folglich auch abgeschlossen worden. Neue Wege müssten nun eingeschlagen werden. Wagner sah die Erlösung der Musik durch das Wort. Als Grundstein hierfür betrachtete er Beethovens 9. Symphonie. Sie ist für ihn der Ausgangspunkt zur Literarisierung der Musik in Form von Musikdramen oder Programm-Symphonien. Sie ist für Wagner die Basis und gleichzeitig die Rechtfertigung für seine künftigen Opernpläne:
"Auf dieses Kunstwerk haben wir in dem Sinne zu schließen, dass es das vollendeteste
Drama, somit ein weit über das Werk der eigentlichen Dichtkunst
hinausliegendes sein muß. Hierauf dürfen wir schließen, die wir die Identität
des Shakespeareschen und des Beethovenschen Dramas erkannten, von welchem wir
andererseits anzunehmen haben, daß es sich zur 'Oper' verhalte wie
ein Shakespearesches Stück zu einem Literaturdrama, und eine Beethovensche
Symphonie zu einer Opernmusik."
(Wagner, "Beethoven", 1870)
Wagner machte sich nach dem Konzertbesuch in Paris sofort an die Arbeit, um ein neues Werk zu komponieren, das jenen Ambitionen entsprach. Es handelte sich hierbei jedoch um keine Oper (an "Rienzi" und "Der fliegenden Holländer" arbeitete er bereits), sondern um eine Symphonie, der ein literarisches Programm zugrunde liegen sollte. Er entschied sich für kein geringeres Werk als den "Faust" von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). In diesem Werk (ohne Hoffnung auf baldige Aufführung) verarbeitete Wagner den Eindruck, den Beethoven auf ihn gemacht hatte sowie seine bittere finanzielle Situation. Als Tonart wählte er bezeichnenderweise jene der 9. Symphonie Beethovens: d-Moll! Von der geplanten "Faust-Symphonie" wurde immerhin die "Faust-Ouvertüre" fertiggestellt, in deren leitmotivartigen Hauptthema (0:42-0:50) Wagner den Zustand seiner eigenen Seelenqualen der Pariser Zeit (programmatisch maskiert von jenen Fausts) in Musik fasste.
Dieses Werk lag Wagner anscheinend sehr am Herzen, da er es mehrmals überarbeitete. Zuletzt tat er dies in den 1850er Jahren, als er von Franz Liszts (1811-1886) Plänen erfuhr, selbst eine "Faust-Symphonie" zu schreiben. Liszt war schließlich nicht nur Wagners späterer Schwiegervater, sondern selbst ein glühender Verfechter von Wagners neuen Wegen. Viele großartige symphonische Dichtungen sowie Programm-Symphonien aus seiner Feder zeugen davon.
Doch nicht alle Komponisten teilten den neuen Weg von Richard Wagner und Franz Liszt. Komponisten wie Robert Schumann (1810-1856) und Johannes Brahms (1833-1897) waren Verfechter der absoluten Symphonik und lehnten das Literarisieren durch feste Programme ab.
In diese Reihe könnte man auch Anton Bruckner (1824-1896) stellen. Dieser war zwar zeitlebens ein glühender Wagner-Verehrer, doch so sehr er den Operndramatiker Wagner mit seinen kühnen Harmoniken und Neuerungen bewunderte, sowenig folgte er dessen Form. Bruckner komponierte nie ein Musikdrama oder eine Symphonie mit programmatischem Hintergrund. Er bevorzugte die klassische Form nach Beethoven. Doch im Rahmen dieser Form schuf er bahnbrechend Modernes.
Ein wunderbares Beispiel hierfür ist Bruckners 9. Symphonie, an welcher er bis zu seinem Tod arbeitete und letztendlich mit unvollendetem Finale zurücklassen musste. Trotz aller Moderne machte Bruckner hier auch zahlreiche Referenzen zu Beethoven und Wagner. An Beethovens 9. Symphonie erinnern beispielsweise der misteriöse, aus dem Nichts entstehende erste Satz sowie einige verwandte Themen daraus, das Scherzo als zweiter Satz der Symphonie und natürlich die Tonart d-Moll.
Doch auch der Bezug zu Wagner kommt nicht zu kurz. Im ersten Satz meint man Referenzen zu Wagners "Tristan-Ouvertüre" erkennen zu können und auch die Harmoniken sind entsprechend kühn. Wirklich spannend wird es im dritten Satz der Symphonie, dem großen Adagio, das Bruckner als "Abschied vom Leben" bezeichnet hat: Einerseits werden die Blechbläser durch "Wagner-Tuben" verstärkt, welche Wagner eigens für die Aufführung seines "Ring des Nibelungen" um 1870 anfertigen ließ, andererseits basiert das einleitende Hauptthema dieses Satzes auf dem Leitmotiv von Wagners "Faust-Ouvertüre". Dieses Thema legt sich bei Bruckner anfangs tonal nicht fest, sodass in diesem Satz eine frühe Art von Atonalität streckenweise zugegen ist. Da das Thema im weiteren Verlauf alle zwölf Töne der chromatischen Tonleiter berührt, kann man mit einiger Vorsicht eine Tendenz zu einer Vorstufe der Zwölftonmusik erahnen.
Angesichts dessen erreichte Bruckner im äußeren Rahmen des klassisch-symphonischen Modells eine Progressivität der Harmonik, die selbst Wagner überflügelte und weit das Tor ins 20. Jahrhundert aufstieß. Bruckners Revolution fand also im Inneren statt, nicht in der äußeren Form:
Der Stein des Anstoßes war die Vertonung eines Gedichts, welche eine Debatte um die symphonische Form auslöste. Diese Debatte zog sich durch das gesamte 19. Jahrhundert und spaltete die Komponisten in verschiedene Lager, die tiefe Gräben trennten. Viele Wege wurden eingeschlagen; eine Versöhnung gab es nicht. So kam es, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die symphonische Form endgültig aus der Mode kam. Es war der Untergang von etwas, das längst keine einheitliche Form mehr besaß.
Was bleibt, sind symphonische Dokumente, die zeigen, wie es auf der Suche nach neuen Wegen zur Überwindung einer Gattung kam. Man kann nun sagen, es seien Dokumente eines Verfalls. Man kann aber auch sagen, dass es sich hierbei um Monumente handelt, die in einer bestimmten Zeit entstanden sind und sich gleichzeitig von dieser losgelöst haben. Sie stehen heute unbeschadet von allen historischen Debatten im Olymp der Musikgeschichte für all jene Musikfreunde bereit, die sich daran laben und erfreuen wollen. Die Gräben sind heute verschwunden. Was bleibt, ist viel gute Musik und der tiefe Trost, dass man aus dem reichen Angebot selbst schöpfen darf.
Der Tod eines geliebten Menschen ist ein einschneidendes Erlebnis - vor allem für jene, die zurückbleiben. Hinterbliebene werden sich hierbei der Endlickeit des Daseins bewusst und stehen staunend und trauernd vor etwas nicht wirklich Fassbarem, etwas Endgültigem. So ging es wohl auch Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und Rainer Maria Rilke (1875-1926) als sie von liebgewonnenen Menschen scheiden mussten. Für den einen war es die Baronin von Uexküll, für den anderen der Graf von Hatzfeld. Beide verarbeiteten ihre Gefühle in ihrem Schaffen. Beide reagierten kompromisslos mit Kunst. Doch während der eine ein Gedicht, eine nahezu barocke Allegorie über Leben und Tod als Spiel auf einer Weltbühne verfasst, spielt der andere tatsächlich: Und zwar auf dem Klavier in Form eines stillen Bekenntnisses. Dies geschieht auf so entwaffnend direkte Weise, dass er seine Gefühle nicht nur verarbeitet, sondern sogar mit uns teilt.
"Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund, Bewunderung und Liebe oder Hass dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund
tragischer Klage wunderlich entstellt. Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen. Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen, spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.
Doch als du gingst, da brach in diese Bühne ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne, wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.
Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes hersagend und Gebärden dann und wann aufhebend; aber dein von uns entferntes, aus unserm Stück entrücktes Dasein kann
uns manchmal überkommen, wie ein Wissen von jener Wirklichkeit sich niedersenkend, so dass wir eine Weile hingerissen das Leben spielen, nicht an Beifall denkend."
"Todes-Erfahrung" von Rainer Maria Rilke, 1907, Capri
"Rondo in a-Moll" KV 511 von Wolfgang Amadeus Mozart, 1787, Wien
Weltliteratur
weiß von keiner Zeit. Unabhängig davon, vor wie vielen Jahrhunderten
sie enstanden ist, die Kraft uns zu begeistern scheint ungemindert wie
am ersten Tage ihrer Schöpfung. Ihre Themen verlieren nie an Gültigkeit.
Die eingefangene (vergangene) Welt kann der Gegenwart auch heute noch
als schonungsloses Spiegelbild dienen, da die Reflexion des Menschen
über sich und die Welt zeitlos ist. So wenig hat der Mensch sich
verändert und so entlarvend können Meisterwerke sein.
Eines
dieser Meisterwerke ist die "Commedia" von Dante Alighieri (1265-1321).
Es handelt sich hierbei wohl um das bedeutendste und epochalste Werk des
Mittelalters, auf dessen Schultern die nachfolgenden Generationen die
Zeit der Renaissance und des Humanismus langsam einläuten konnten. Dante
hält hier Weltgericht in Form einer Jenseitsreise und versucht die
wichtigsten philosophischen, theologischen und politischen Strömungen
seiner Zeit in einem Werk zu bannen.
Der
berühmteste Teil dieser Jenseitsreise ist der erste, das Inferno. Das
spiegelt sich auch in der musikalischen Rezeptionsgeschichte
romantischer Komponisten mehr als ein halbes Jahrtausend nach
Niederschrift des Werkes wider. Zahlreiche Tondichter wurden durch
Teile des Infernos zu eigenen Tonschöpfungen inspiriert. Und über diese
soll im Rahmen von drei Artikel berichtet werden.
Im letzten Artikel vom 23.8.2015 ("Dantes Inferno I - Die Pforte der Hölle") haben wir gehört, wie Franz Liszt (1811-1886) den Eingang zur Hölle und deren Durchquerung bis zum zweiten Höllenkreis musikalisch beschreibt. Im zweiten Höllenkreis fristen die wolllüstigen Seelen ihr Dasein. Es handelt sich hierbei um jene Sünder, die sich den fleischlichen Lüsten ergeben und ihre Vernunft dem Triebe hintangestellt haben.
Dante beschreibt diesen Ort als jenen, wo alles Licht verstummt und wo es braust wie Meer bei Gewitter, wenn widrige Winde toben. Über die verdammten Seelen heißt es:
"La bufera infernal, che mai non resta,
mena li spirti con la sua rapina;
voltando e percotendo li molesta.
Quando giungon davanti a la ruina,
quivi le strida, il compianto, il lamento;
bestemmian quivi la virtù divina."
Canto 5, Vers 31-36
("Der Hölle Wirbelsturm, der niemals ruht,
jagt hier die Geister, sich im Flug drehend,
und peitscht sie mit erbarmungsloser Wut.
Wenn dieser Strudel sie packt,
wird Wimmern, Klagen und Schreien laut;
dann fluchen sie auf die göttliche Macht.")
Übersetzung Hartmut Köhler, 2010
Dieser Wirbelsturm ist auch in Liszts symphonischer Dichtung von Minute 6:52-7:16 zu hören, wenn Dante den zweiten Höllenkreis betritt:
Die Musik beruhigt sich aber schnell wieder, da Dante zwei eng umschlungene Seelen im Wirbelsturm entdeckt, die sein Interesse wecken. Nachdem Dante diese angesprochen hat, hält das Paar im Flug inne und wendet sich ihm zu. Eine der Seelen beginnt sogleich über ihr Leben zu berichten und welchen tragischen Verlauf dieses genommen hat, sodass dieser Höllenkreis ihr Schicksal geworden ist. Es handelt sich hierbei um die weltberühmte Geschichte von Francesca da Rimini und ihrem Geliebten Paolo.
Francesca war die Tochter eines Herrschers von Ravenna und wurde um das Jahr 1275 mit Gianciotto Malatesta aus der Herrscherfamilie von Rimini verheiratet. Dies war keine Liebesheirat sondern ein politisches Kalkül der Väter. Gefühle waren hierbei nicht im Spiel und Francesca litt unter ihrem neuen Ehemann. So kam es, dass sich Francesca in Gianciottos Bruder Paolo verliebte und mit diesem ein Verhältnis begann. Unglücklicherweise wurden beide von dem gehörnten Ehemann inflagranti erwischt und während des Liebesaktes von diesem getötet.
Doch obwohl beide Opfer eines Mordes wurden, müssen sie nun in der Hölle büßen. Der Grund dafür ist nicht allein der Ehebruch, sondern weil sie im Moment ihres Todes nur von Lust erfüllt waren und keinen Funken von Reue in sich hatten. Die traurigen weltlichen Umstände ihrer Liebe machten sie zu verdammte Seelen der Hölle. Ihr einziger Trost sei es, ihr Schicksal gemeinsam ertragen zu dürfen. Doch selbst das Erzählen ihrer Geschichte ist für Francesca mit unerträglichen Qualen verbunden, denn an einer Stelle sagt sie den unvergesslichen Satz:
"Nessun maggior dolore
che ricordarsi del tempo felice
nella miseria."
Canto 5, Vers 121-123
("Nichts schmerzt doch mehr,
als an die Zeit des Glücks zu denken,
wenn man im Elend ist.")
Übersetzung Hartmut Köhler, 2010
Die Innigkeit der beiden Verdammten und die tiefe Ergriffenheit Dantes, welcher von ihrer Geschichte tieftraurig und zu Tränen gerührt wurde, weiß Liszt in einer seiner lyrischsten und ergreifendsten Passagen darzustellen, die er je komponiert hat. Ab Minute 13:24 hebt er zu einem bittersüßen Klagegesang über Liebe, Schmerz und Tod an.
Dantes letzte Worte in diesem Höllenkreis sind:
"Mentre che l'uno spirto questo disse,
l'altro piangëa; sì che di pietade
io venni men così com'io morisse.
E caddi come corpo morto cade."
Canto 5, Vers 139-142
("Während die eine Schattenseele dies erzählte,
weinte die andere so sehr, dass mir vor Mitleid
die Sinne schwanden, als müsste ich sterben.
Und ich fiel zu Boden, wie ein toter Körper fällt.")
Übersetzung Hartmut Köhler, 2010
Dante fällt in Ohnmacht und das Liebespaar verschwindet mit dem Wind (16:30). So endet die herzzerreißende Episode über Francesca da Rimini in Liszts Komposition und in Dantes "Commedia". Als Dante wieder zu sich kommt (16:57), befindet er sich bereits im nächsten Höllenkreis, wo weitere Qualen und verdammte Seelen auf ihn warten und er seine Reise immer tiefer die Hölle hinab fortsetzt. In dieser Stimmung klingt Liszts "Inferno" in Form einer Reprise mit dem Themenmaterial des ersten Teils der Tondichtung (siehe "Dantes Inferno I - Die Pforte der Hölle") aus.
Die Geschichte von Francesca da Rimini wurde aber auch von anderen Komponisten behandelt. So schrieb beispielsweise Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) ebenfalls eine symphonische Dichtung über ihr trauriges Schicksal. Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow (1873-1943) und Riccardo Zandonai (1883-1944) widmeten ihr sogar eine ganze Oper.
Die Geschichte Francesca da Riminis gehört zu Recht zu den Sternstunden der Weltliteratur. Ihr Drang nach Liebe steht in bitterem Widerspruch zur Moral ihrer Zeit. Die Härte und die Ungerechtigkeit ihres Schicksals ergreift und empört uns heute noch wie damals wohl auch Dante. Und durch die Vertonung ihrer Geschichte wird ihr Leid mit der Kraft der Musik nur noch stärker in die Welt hinausgeschrien.
Giacomo Puccini (1858-1924) ist einer jener Meister, der nahezu ausschließlich für sein Opernschaffen bekannt ist. Seine Kompositionen abseits der Bühne gelten oft als Gelegenheitswerke und weniger bedeutend. Doch bei näherer Betrachtung erkennt man, dass manche davon aus jenem Empfinden schöpfen, das an Intensität und Ausdruck den Opern in nichts nachsteht.Und von einem solchen Werk soll nun die Rede sein: Es handelt sich um den Streichquartettsatz "Crisantemi".
Der Anlass für "Crisantemi" aus dem Jahre 1890 war ein trauriger: der Tod eines Freundes. Es handelt sich bei dem Stück um ein Klagelied ohne Gesang, das im Gedenken an Herzog Amadeus von Savoyen (1845-1890), Sohn des italienischen Königs Viktor Emanuel II. (1820-1878) und von 1870-1873 selbst (glückloser) König von Spanien, entstanden ist.
Puccini soll dieses Werk in nur einer Nacht komponiert haben. Die Musik ist aus einem Guss und ganz dem Schmerz und der Trauer um den verstorbenen Freund verschrieben. So auch der Titel: Bei "Crisantemi" (oder "Chrysanthemen") handelt es sich um Blumen, die ein Symbol für den Tod darstellen und häufig Gräber zieren. In diesem Sinne wollte wohl auch Puccini seine Komposition verstanden wissen. Er wählte hierfür den intimen Rahmen eines Streichquartetts. Dies sollte einer der wenigen Ausflüge Puccinis in die Welt der Kammermusik sein.
Für Puccini muss diese Komposition mehr als nur ein Gelegenheitswerk gewesens sein. Er muss an ihre eindringliche Kraft geglaubt haben. Anders ist es nicht zu erklären, weshalb er in seinem ersten großen Opernerfolg "Manon Lescaut" (1893) die Musik zu "Crisantemi" erneut aufgriff und damit die Sterbeszene der Titelheldin im letzten Akt begleitete.
Das Klagelied fand schließlich doch noch seine Oper ...
Die musikalische Laufbahn von Johannes Brahms (1833-1897) begann im Jahre 1853 urknallartig durch einen überschwenglichen Artikel seines Mentors Robert Schumann (1810-1856). Der Artikel erschien in dem von Schumann gegründeten Blatt "Neue Zeitschrift für Musik" unter dem Titel "Neue Bahnen". Schumann kündigte hier Brahms als jenen Meister an, "der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre". Der Artikel schloss mit den ausdrucksvollen, programmatischen Worten:
"Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter Geister.
Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der
Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend."
Diese Worte hatte Brahms wohl sein Leben lang nicht vergessen. Auch er schloss ein Bündnis mit einem verwandten Geist und trat als Mentor und Förderer für diesen ein. Es handelte sich um Antonín Dvořák (1841-1904), mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
Johannes Brahms wurde das erste Mal im Jahre 1874 auf den böhmischen Komponisten Antonín Dvořák aufmerksam, als dieser sich um ein Stipendium namens "Österreichischer Staatspreis für Musik" bewarb. Brahms war damals bereits ein etablierter Komponist, Mitglied der Jury des Staatspreises und angetan von dem Werk des jungen Bewerbers. Aus diesem Grunde setzte er sich (ohne öffentlich genannt zu werden) sehr für Dvořák ein. Dies führte dazu, dass Dvořák schließlich den Preis gewann und über mehrere Jahre das Stipendium erhielt, sodass er mit finanzieller Absicherung sich ganz dem Komponieren widmen konnte.
Vom Schaffen des jungen Meisters immer fester überzeugt, gab sich Brahms 1877 als führendes Mitglied der Jury zu erkennen und vermittelte Dvořák an seinen eigenen Musikverlag "N.Simrock", der fortan einige seiner Kompositionen veröffentlichte. Dvořák muss sehr bewegt gewesen sein, als er erkannte, welch großer Namen sich für ihn eingesetzt hatte. Als Dank widmete er Brahms sein neues Streichquartett in d-Moll (op.34), in welchem er als Huldigung für Brahms direkte Bezüge zu dessem letzten Streichquartett in B-Dur (op.67) herstellte.
Dies war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft sowie eines regen künsterlischen Austausches. Oft wurden die Partituren der neuesten Kompositionen ausgetauscht und kritisch durchgesehen. Auch gemeinsame Klavierabende, wo Klavier-Transkriptionen eigener Werke einander vorgespielt wurden, waren keine Seltenheit. So erlebte Dvořáks Schaffen einen massiven Einfluss durch Brahms' Tonsprache. Dies ist zum Beispiel Dvořáks 7. Symphonie (op.70) anzumerken, in welcher selbst vor direkten Zitaten nicht zurückgescheut wurde, wie man ihrem Kopfsatz entnehmen kann. Hier verwendete Dvořák als Seitenthema die Melodie von Brahms' Lied "Immer leiser wird mein Schlummer".
Dennoch kann Dvořák nicht als Epigone von Brahms abgestempelt werden. Er war durchaus in der Lage, unabhängig des Brahms’schen Einflusses eine eigene Tonsprache zu bewahren, die sehr der böhmischen Folklore verpflichtet war. Diese gipfelte in seinen späten Symphonien Nr. 8 (op.88) und Nr. 9 (op.95) sowie seinem Cellokonzert in h-Moll (op.104).
Speziell das Cellokonzert war es, welches Brahms zutiefst beeindruckte. Er erhielt das Manuskript 1895 und war derart begeistert, dass er es im privaten Kreise als Transkription für Cello und Klavier zur Aufführung brachte. Er übernahm dabei höchstpersönlich den Klavierpart. Er soll dabei gesagt haben: "Warum habe ich nicht gewusst, dass man ein Cellokonzert wie dieses
schreiben kann? Hätte ich es gewusst, hätte ich schon vor langer Zeit
eines geschrieben!"
Dies war eine tiefe Verneigung von Brahms gegenüber Dvořák.
1896 wurde es im von Brahms vermittelten Verlag "N.Simrock" veröffentlicht und einen Monat vor Brahms Tod 1897 erlebte dieser eine Aufführung der Wiener Philharmoniker in Wien, der er enthusiastisch beiwohnte.
Die Kraft und Frische von Dvořáks ewig jungem Meisterwerk lassen uns auch heute noch unvermindert Brahms Begeisterung begreifen und teilen:
Weniger bekannt ist, dass sich aufgrund des Cellokonzertes nicht nur Brahms vor Dvořák verneigt hatte, sondern gleichzeitig Dvořák selbst vor Brahms. Das bekannte Hauptthema des ersten Satzes (das im Epilog des letzten Satzes wiederkehrt) stammt nämlich nicht von Dvořák. Es stammt aus der Feder von Brahms selbst. Er gebrauchte es in jenem Werk, das zu seinem internationalen Durchbruch führte: Ein deutsches Requiem (op.45). Dieses monumentale Chorwerk entstand in den Jahren 1861-1868 unter den Eindrücken der Tode Robert Schumanns (1856) sowie derMutter von Brahms Johanna Henrika(1865).
Bei diesem Werk handelt es sich allerdings nicht um ein kirchlich-liturgisches Werk, sondern um ein zutiefst menschliches:
"Es ist vielmehr eine menschliche, romantisch-erlebnishafte Auseinandersetzung mit der Tragik des Todes, eine Gegenüberstellung von Vergänglichkeit und Ewigkeitshoffnung, von Trauer und Trost nach freigewählten Worten der Bibel in Form einer Chorkantate. Dass Tod und Ewigkeit aus menschlichem Aspekt, zwar im Sinne des christlichen Glaubens, aber ohne Beziehung auf kirchlich-konfessionelle Formen, behandelt werden, ist einer der Gründe für die ungeheure Wirkung, die das Werk geübt hat: Es ist das Bekenntnis einer freireligiösen Zeit, des den kirchlichen Dogmen entwachsenen 19. Jahrhunderts."
(Oehlmann/Wagner, "Reclams Chormusik- und Oratorienführer", 8. Auflage, S. 390)
Dies dürfte auch Dvořák tief berührt haben, sodass er das Hauptthema seines Meisterwerkes, dem Cellokonzert, dem dritten Satz des deutschen Requiems entnommen hatte (ab Minute 3:37 der Hörprobe). Der Titel des Satzes ist treffenderweise "Herr, lehre doch mich".
Was für eine schönere Referenz kann man seinem Mentor und Förderer erweisen?
"Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter Geister.
Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der
Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend."
Die Entstehungsgeschichte der Werke von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) gibt uns oftmals Rätsel auf. Nicht selten sind wir über den wahren Anlass ihres Entstehens im Unklaren. Mozart komponierte häufig ohne einen konkreten Auftrag von Geldgebern, was für eine verschwenderische, immer unter Geldnöten leidende Natur ein ungewöhnliches, wenn nicht sogar riskantes Unterfangen war. Darüber hinaus ist auch die Verfassung Mozarts beim Komponieren meist unklar, da sich zwischen fröhlichen Melodien zumal Töne sanfter Melancholie bis hin zu tiefer Resignation finden. Mozarts Heiterkeit ist immer wieder von unerklärlichen emotionalen Abgründen kontrastiert.
So birgt Mozarts Werk ein Geheimnis, das vielleicht Teil der ungebrochenen Faszination für seine Musik bis heute ist.
Ein Beispiel hierfür ist Mozarts letzte Klaviersonate in D-Dur (KV 576), welche nach einer Berlin- und Potsdamreise 1789 in Wien komponiert wurde. Fast scheint es, als wüssten wir über die geschichtlichen Hintergründe dieser Sonate Bescheid: In Folge dieser Reise versprach sich Mozart neue Aufträge seitens des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm II (1744-1794). Dieser war ein leidenschaftlicher Musikfreund und spielte selbst einigermaßen Cello. Mozart beschloss daher, eine Reihe von sechs Streichquartetten (mit einer für den König spielerisch schaffbaren Cellostimme) zu komponieren und diese dem König zu widmen. Zusätzlich wollte Mozart für die älteste Tochter des Königs, Friederike, einige "leichte Klaviersonaten" schreiben, da diese das Klavierspiel zu erlernen strebte.
Soviel zu den geschichtlichen Hintergründen. Doch was kam dabei heraus?
Mozart schloss den Streichquartett-Zyklus nie ab. Lediglich drei Quartette (KV 575, 589, 590) wurden fertiggestellt, die von der Nachwelt den Titel "Die Preußischen Quartette" erhielten. Von den Klaviersonaten wurde gar nur eine, die oben genannte Sonate in D-Dur (KV 576), fertiggestellt und selbst bei dieser ist fraglich, ob sie wirklich für ungeübte Königstochterhände gedacht gewesen sein konnte. Sie gilt nämlich als eine von Mozarts anspruchsvollsten Kompositionen für Klavier. Allein der erste Satz zeugt von einer komplexen Synthese aus dem polyphonen Stil des Barock und dem galanten Stil des Rokoko. Mozart bringt hierbei den Geist zweier Epochen spielerisch zum harmonischen Ausgleich:
Ein tiefsinniges Geheimnis von zarter Poesie birgt der kantable zweite Satz. Es handelt sich um eine bitter-süße Fantasie im fernen fis-Moll, die den Kern des Satzes bildet. Hier erschließt Mozart eine völlig neue, in sich abgeschlossene Welt, die vielleicht schon auf die künftige Epoche der Romantik hinweist und ab Minute 1:15 ahnungsvoll erklingt:
Anhand der Komplexität und des emotionalen Facettenreichtums ist es eher unwahrscheinlich, dass diese Sonate der Königstochter zugedacht war. Über die wahren Hintergründe wissen wir eigentlich nichts. Alles, was bleibt, ist Musik, die ein stilles Geheimnis voll Klangpoesie birgt und das Signum der Vollendung trägt.