Die musikalische Laufbahn von Johannes Brahms (1833-1897) begann im Jahre 1853 urknallartig durch einen überschwenglichen Artikel seines Mentors Robert Schumann (1810-1856). Der Artikel erschien in dem von Schumann gegründeten Blatt "Neue Zeitschrift für Musik" unter dem Titel "Neue Bahnen". Schumann kündigte hier Brahms als jenen Meister an, "der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre". Der Artikel schloss mit den ausdrucksvollen, programmatischen Worten:
"Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter Geister.
Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der
Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend."
Diese Worte hatte Brahms wohl sein Leben lang nicht vergessen. Auch er schloss ein Bündnis mit einem verwandten Geist und trat als Mentor und Förderer für diesen ein. Es handelte sich um Antonín Dvořák (1841-1904), mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
Johannes Brahms wurde das erste Mal im Jahre 1874 auf den böhmischen Komponisten Antonín Dvořák aufmerksam, als dieser sich um ein Stipendium namens "Österreichischer Staatspreis für Musik" bewarb. Brahms war damals bereits ein etablierter Komponist, Mitglied der Jury des Staatspreises und angetan von dem Werk des jungen Bewerbers. Aus diesem Grunde setzte er sich (ohne öffentlich genannt zu werden) sehr für Dvořák ein. Dies führte dazu, dass Dvořák schließlich den Preis gewann und über mehrere Jahre das Stipendium erhielt, sodass er mit finanzieller Absicherung sich ganz dem Komponieren widmen konnte.
Vom Schaffen des jungen Meisters immer fester überzeugt, gab sich Brahms 1877 als führendes Mitglied der Jury zu erkennen und vermittelte Dvořák an seinen eigenen Musikverlag "N.Simrock", der fortan einige seiner Kompositionen veröffentlichte. Dvořák muss sehr bewegt gewesen sein, als er erkannte, welch großer Namen sich für ihn eingesetzt hatte. Als Dank widmete er Brahms sein neues Streichquartett in d-Moll (op.34), in welchem er als Huldigung für Brahms direkte Bezüge zu dessem letzten Streichquartett in B-Dur (op.67) herstellte.
Dies war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft sowie eines regen künsterlischen Austausches. Oft wurden die Partituren der neuesten Kompositionen ausgetauscht und kritisch durchgesehen. Auch gemeinsame Klavierabende, wo Klavier-Transkriptionen eigener Werke einander vorgespielt wurden, waren keine Seltenheit. So erlebte Dvořáks Schaffen einen massiven Einfluss durch Brahms' Tonsprache. Dies ist zum Beispiel Dvořáks 7. Symphonie (op.70) anzumerken, in welcher selbst vor direkten Zitaten nicht zurückgescheut wurde, wie man ihrem Kopfsatz entnehmen kann. Hier verwendete Dvořák als Seitenthema die Melodie von Brahms' Lied "Immer leiser wird mein Schlummer".
Dennoch kann Dvořák nicht als Epigone von Brahms abgestempelt werden. Er war durchaus in der Lage, unabhängig des Brahms’schen Einflusses eine eigene Tonsprache zu bewahren, die sehr der böhmischen Folklore verpflichtet war. Diese gipfelte in seinen späten Symphonien Nr. 8 (op.88) und Nr. 9 (op.95) sowie seinem Cellokonzert in h-Moll (op.104).
Speziell das Cellokonzert war es, welches Brahms zutiefst beeindruckte. Er erhielt das Manuskript 1895 und war derart begeistert, dass er es im privaten Kreise als Transkription für Cello und Klavier zur Aufführung brachte. Er übernahm dabei höchstpersönlich den Klavierpart. Er soll dabei gesagt haben: "Warum habe ich nicht gewusst, dass man ein Cellokonzert wie dieses
schreiben kann? Hätte ich es gewusst, hätte ich schon vor langer Zeit
eines geschrieben!"
Dies war eine tiefe Verneigung von Brahms gegenüber Dvořák.
1896 wurde es im von Brahms vermittelten Verlag "N.Simrock" veröffentlicht und einen Monat vor Brahms Tod 1897 erlebte dieser eine Aufführung der Wiener Philharmoniker in Wien, der er enthusiastisch beiwohnte.
Die Kraft und Frische von Dvořáks ewig jungem Meisterwerk lassen uns auch heute noch unvermindert Brahms Begeisterung begreifen und teilen:
Weniger bekannt ist, dass sich aufgrund des Cellokonzertes nicht nur Brahms vor Dvořák verneigt hatte, sondern gleichzeitig Dvořák selbst vor Brahms. Das bekannte Hauptthema des ersten Satzes (das im Epilog des letzten Satzes wiederkehrt) stammt nämlich nicht von Dvořák. Es stammt aus der Feder von Brahms selbst. Er gebrauchte es in jenem Werk, das zu seinem internationalen Durchbruch führte: Ein deutsches Requiem (op.45). Dieses monumentale Chorwerk entstand in den Jahren 1861-1868 unter den Eindrücken der Tode Robert Schumanns (1856) sowie der Mutter von Brahms Johanna Henrika (1865).
Bei diesem Werk handelt es sich allerdings nicht um ein kirchlich-liturgisches Werk, sondern um ein zutiefst menschliches:
"Es ist vielmehr eine menschliche, romantisch-erlebnishafte Auseinandersetzung mit der Tragik des Todes, eine Gegenüberstellung von Vergänglichkeit und Ewigkeitshoffnung, von Trauer und Trost nach freigewählten Worten der Bibel in Form einer Chorkantate. Dass Tod und Ewigkeit aus menschlichem Aspekt, zwar im Sinne des christlichen Glaubens, aber ohne Beziehung auf kirchlich-konfessionelle Formen, behandelt werden, ist einer der Gründe für die ungeheure Wirkung, die das Werk geübt hat: Es ist das Bekenntnis einer freireligiösen Zeit, des den kirchlichen Dogmen entwachsenen 19. Jahrhunderts."
(Oehlmann/Wagner, "Reclams Chormusik- und Oratorienführer", 8. Auflage, S. 390)
Dies dürfte auch Dvořák tief berührt haben, sodass er das Hauptthema seines Meisterwerkes, dem Cellokonzert, dem dritten Satz des deutschen Requiems entnommen hatte (ab Minute 3:37 der Hörprobe). Der Titel des Satzes ist treffenderweise "Herr, lehre doch mich".
Was für eine schönere Referenz kann man seinem Mentor und Förderer erweisen?
"Es waltet in jeder Zeit ein geheimes Bündnis verwandter Geister.
Schließt, die ihr zusammengehört, den Kreis fester, daß die Wahrheit der
Kunst immer klarer leuchte, überall Freude und Segen verbreitend."
Robert Schumanns Wunsch wurde Wirklichkeit ...