Weltliteratur
weiß von keiner Zeit. Unabhängig davon, vor wie vielen Jahrhunderten
sie enstanden ist, die Kraft uns zu begeistern scheint ungemindert wie
am ersten Tage ihrer Schöpfung. Ihre Themen verlieren nie an Gültigkeit.
Die eingefangene (vergangene) Welt kann der Gegenwart auch heute noch
als schonungsloses Spiegelbild dienen, da die Reflexion des Menschen
über sich und die Welt zeitlos ist. So wenig hat der Mensch sich
verändert und so entlarvend können Meisterwerke sein.
Eines
dieser Meisterwerke ist die "Commedia" von Dante Alighieri (1265-1321).
Es handelt sich hierbei wohl um das bedeutendste und epochalste Werk des
Mittelalters, auf dessen Schultern die nachfolgenden Generationen die
Zeit der Renaissance und des Humanismus langsam einläuten konnten. Dante
hält hier Weltgericht in Form einer Jenseitsreise und versucht die
wichtigsten philosophischen, theologischen und politischen Strömungen
seiner Zeit in einem Werk zu bannen.
Der
berühmteste Teil dieser Jenseitsreise ist der erste, das Inferno. Das
spiegelt sich auch in der musikalischen Rezeptionsgeschichte
romantischer Komponisten mehr als ein halbes Jahrtausend nach
Niederschrift des Werkes wider. Zahlreiche Tondichter wurden durch
Teile des Infernos zu eigenen Tonschöpfungen inspiriert. Und über diese
soll im Rahmen von drei Artikel berichtet werden.
"La bufera infernal, che mai non resta,
Die Musik beruhigt sich aber schnell wieder, da Dante zwei eng umschlungene Seelen im Wirbelsturm entdeckt, die sein Interesse wecken. Nachdem Dante diese angesprochen hat, hält das Paar im Flug inne und wendet sich ihm zu. Eine der Seelen beginnt sogleich über ihr Leben zu berichten und welchen tragischen Verlauf dieses genommen hat, sodass dieser Höllenkreis ihr Schicksal geworden ist. Es handelt sich hierbei um die weltberühmte Geschichte von Francesca da Rimini und ihrem Geliebten Paolo.
Im letzten Artikel vom 23.8.2015 ("Dantes Inferno I - Die Pforte der Hölle") haben wir gehört, wie Franz Liszt (1811-1886) den Eingang zur Hölle und deren Durchquerung bis zum zweiten Höllenkreis musikalisch beschreibt. Im zweiten Höllenkreis fristen die wolllüstigen Seelen ihr Dasein. Es handelt sich hierbei um jene Sünder, die sich den fleischlichen Lüsten ergeben und ihre Vernunft dem Triebe hintangestellt haben.
Dante beschreibt diesen Ort als jenen, wo alles Licht verstummt und wo es braust wie Meer bei Gewitter, wenn widrige Winde toben. Über die verdammten Seelen heißt es:
"La bufera infernal, che mai non resta,
mena li spirti con la sua rapina;
voltando e percotendo li molesta.
Quando giungon davanti a la ruina,
quivi le strida, il compianto, il lamento;
bestemmian quivi la virtù divina."
Canto 5, Vers 31-36
("Der Hölle Wirbelsturm, der niemals ruht,
jagt hier die Geister, sich im Flug drehend,
und peitscht sie mit erbarmungsloser Wut.
Wenn dieser Strudel sie packt,
wird Wimmern, Klagen und Schreien laut;
dann fluchen sie auf die göttliche Macht.")
Übersetzung Hartmut Köhler, 2010
Dieser Wirbelsturm ist auch in Liszts symphonischer Dichtung von Minute 6:52-7:16 zu hören, wenn Dante den zweiten Höllenkreis betritt:
Die Musik beruhigt sich aber schnell wieder, da Dante zwei eng umschlungene Seelen im Wirbelsturm entdeckt, die sein Interesse wecken. Nachdem Dante diese angesprochen hat, hält das Paar im Flug inne und wendet sich ihm zu. Eine der Seelen beginnt sogleich über ihr Leben zu berichten und welchen tragischen Verlauf dieses genommen hat, sodass dieser Höllenkreis ihr Schicksal geworden ist. Es handelt sich hierbei um die weltberühmte Geschichte von Francesca da Rimini und ihrem Geliebten Paolo.
Francesca war die Tochter eines Herrschers von Ravenna und wurde um das Jahr 1275 mit Gianciotto Malatesta aus der Herrscherfamilie von Rimini verheiratet. Dies war keine Liebesheirat sondern ein politisches Kalkül der Väter. Gefühle waren hierbei nicht im Spiel und Francesca litt unter ihrem neuen Ehemann. So kam es, dass sich Francesca in Gianciottos Bruder Paolo verliebte und mit diesem ein Verhältnis begann. Unglücklicherweise wurden beide von dem gehörnten Ehemann inflagranti erwischt und während des Liebesaktes von diesem getötet.
Doch obwohl beide Opfer eines Mordes wurden, müssen sie nun in der Hölle büßen. Der Grund dafür ist nicht allein der Ehebruch, sondern weil sie im Moment ihres Todes nur von Lust erfüllt waren und keinen Funken von Reue in sich hatten. Die traurigen weltlichen Umstände ihrer Liebe machten sie zu verdammte Seelen der Hölle. Ihr einziger Trost sei es, ihr Schicksal gemeinsam ertragen zu dürfen. Doch selbst das Erzählen ihrer Geschichte ist für Francesca mit unerträglichen Qualen verbunden, denn an einer Stelle sagt sie den unvergesslichen Satz:
"Nessun maggior dolore
che ricordarsi del tempo felice
nella miseria."
Canto 5, Vers 121-123
("Nichts schmerzt doch mehr,
als an die Zeit des Glücks zu denken,
wenn man im Elend ist.")
Übersetzung Hartmut Köhler, 2010
Die Innigkeit der beiden Verdammten und die tiefe Ergriffenheit Dantes, welcher von ihrer Geschichte tieftraurig und zu Tränen gerührt wurde, weiß Liszt in einer seiner lyrischsten und ergreifendsten Passagen darzustellen, die er je komponiert hat. Ab Minute 13:24 hebt er zu einem bittersüßen Klagegesang über Liebe, Schmerz und Tod an.
Dantes letzte Worte in diesem Höllenkreis sind:
Dantes letzte Worte in diesem Höllenkreis sind:
"Mentre che l'uno spirto questo disse,
l'altro piangëa; sì che di pietade
io venni men così com'io morisse.
E caddi come corpo morto cade."
Canto 5, Vers 139-142
("Während die eine Schattenseele dies erzählte,
weinte die andere so sehr, dass mir vor Mitleid
die Sinne schwanden, als müsste ich sterben.
Und ich fiel zu Boden, wie ein toter Körper fällt.")
Übersetzung Hartmut Köhler, 2010
Dante fällt in Ohnmacht und das Liebespaar verschwindet mit dem Wind (16:30). So endet die herzzerreißende Episode über Francesca da Rimini in Liszts Komposition und in Dantes "Commedia". Als Dante wieder zu sich kommt (16:57), befindet er sich bereits im nächsten Höllenkreis, wo weitere Qualen und verdammte Seelen auf ihn warten und er seine Reise immer tiefer die Hölle hinab fortsetzt. In dieser Stimmung klingt Liszts "Inferno" in Form einer Reprise mit dem Themenmaterial des ersten Teils der Tondichtung (siehe "Dantes Inferno I - Die Pforte der Hölle") aus.
Die Geschichte von Francesca da Rimini wurde aber auch von anderen Komponisten behandelt. So schrieb beispielsweise Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) ebenfalls eine symphonische Dichtung über ihr trauriges Schicksal. Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow (1873-1943) und Riccardo Zandonai (1883-1944) widmeten ihr sogar eine ganze Oper.
Die Geschichte Francesca da Riminis gehört zu Recht zu den Sternstunden der Weltliteratur. Ihr Drang nach Liebe steht in bitterem Widerspruch zur Moral ihrer Zeit. Die Härte und die Ungerechtigkeit ihres Schicksals ergreift und empört uns heute noch wie damals wohl auch Dante. Und durch die Vertonung ihrer Geschichte wird ihr Leid mit der Kraft der Musik nur noch stärker in die Welt hinausgeschrien.