Wo Worte enden, beginnt die Musik.
Wo Sprache keinen Ausdruck mehr kennt, klingt Musik als Vermittler fort.
Und wo ein aufgeschlossenes Herz weilt, wird Musik verstanden werden ...
Seit jeher war Musik das Mittel, um große Gefühle zu transportieren und dem Erhabenen Ausdruck zu verleihen. Vor allem für das Gefühl der Trauer war Musik stets ein Ventil, das innerste Empfinden nach außen zu kehren und schonungslos mit der Mitwelt zu teilen. Speziell in der klassisch-romantischen Musiktradition entstanden auf diese Weise Meisterwerke, die in Form von Trauermusik einen Grad an Intensität erreichten, der einzigartig in der Geschichte der abendländischen Kunst ist. Und von nichts Geringerem soll nun die Rede sein.
Den Beginn soll Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) machen. Mozart wird oftmals als heiterer Komponist der leichten Muse dargestellt und so verwundert es, warum er im Rahmen dieses Artikels Erwähnung findet. Das lässt sich sehr einfach beantworten: Dieses überlieferte Bild ist schlicht und ergreifend grundfalsch. Gerade Mozarts Werk zeichnet sich besonders durch Vielschichtigkeit und Nuancenreichtum aus. Mozart war sich allen Facetten des Lebens bewusst und entsprechend schlug sich dies in seiner Musik nieder. An Abgünden von zarter Melancholie bis hin zu tiefer Resignation mangelt es in Mozarts Schaffen nicht. Als ein berühmtes Beispiel hierzu gilt seine "Maurerische Trauermusik" KV 477 in der düster-tragischen Tonart c-Moll. Mozart (selbst Freimaurer) komponierte dieses Werk im Jahre 1785 anlässlich des Todes zweier Logen-Brüder. In dieser tiefsinnigen Komposition zeigt Mozart seine Meisterschaft, da im dunklen Klang nicht nur Schmerz und Trauer verarbeitet werden, sondern gleichzeitig tiefer Trost und stille Hoffnung mitschwingen dürfen:
Was Trauermusik betrifft, darf Ludwig van Beethoven (1770-1827) nicht fehlen, denn er schrieb einen der monumentalsten Trauermärsche als zweiten Satz seiner 3. Symphonie. Diese Symphonie entstand wohl in den Jahren 1802-1803 und sollte ursprünglich dem damals ersten Konsul der französischen Republik gewidmet werden: Napoleon Bonaparte (1769-1821). Als dieser sich jedoch im Jahre 1804 selbst zum Kaiser krönte, vernichtete Beethoven erbost die Titelseite der Symphonie mitsamt der Widmung. Als die Partitur später im Druck erschien, stand auf der Titelseite lediglich: "Sinfonia eroica, composta per festeggiare il souvenire di un grand'uomo" ("Heroische Symphonie zur Erinnerungsfeier für einen großen Mann").
Und heroisch war besonders der zweite Satz dieser Symphonie, welcher als "Marcia funebre" ("Trauermarsch") bezeichnet wurde. Es war das erste Mal, dass ein Trauermarsch Bestandteil eines symphonischen Zyklus wurde. Wenige Jahre zuvor schrieb Beethoven im Rahmen seiner Klaviersonate op.26 ebenfalls einen Trauermarsch mit dem Titel "sulla morte d'un eroe" ("auf den Tod eines Helden"), doch lässt sich nicht genau feststellen (weder für die Symphonie noch für die Sonate) auf welche Person die Trauermusik konkret bezogen sein könnte.
Der Trauermarsch gehört wie gesagt zum Monumentalsten, was Beethoven komponiert hat, und steht wie Mozarts Trauermusik in der düster-tragischen Tonart c-Moll. Dieser Satz folgt im Prinzip der dreiteiligen Liedform: dem düsteren c-Moll Hauptthema folgt ein Mittelabschnitt in lichtem, hoffnungsvollem C-Dur (Minute 5:10 der Hörprobe), das von dem Beginn der Reprise (in Form des Marschthemas) abgelöst wird. Die Reprise mündet in ein unglaublich spannungsgeladenes, intensives Fugato. In diesem Fugato (Minute 8:26 der Hörprobe) beweist Beethoven seine polyphone Meisterschaft und schwingt sich zu den höchsten Höhen der musikalischen Ausdruckskraft empor. Der heroische Satz endet mit einer ausgedehnten Coda, die mit immer stummer werdenden Seufzerfiguren und mit Wiederaufkommen des Marschthemas langsam erlischt.
Richard Wagner (1813-1883) arbeitete an seiner Oper-Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" (mit einer Aufführungsdauer von ungefähr 16 Stunden) von 1848-1874. Zu Beginn dieses Mammut-Projektes war er sehr von der Philosopohie Ludwig Feuerbachs (1804-1872) beeinflusst. Laut Feuerbach sind (etwas vereinfacht formuliert) Götter lediglich Projektionen der freien Schöpferkraft des Menschen. Demnach solle das Ziel sein, die Idee des freien Menschen die Stelle der Religion einnehmen zu lassen. Für Wagner war im Ring (in Abkehr vom christlichen Glauben) die Verkörperung des freien Menschen Siegfried. In Wagners Tetralogie war es Siegfied gelungen, als Nachfahre der Götter (Göttervater Wotan war sein Großvater) sich (unbewusst) vollkommen von ihnen zu emanzipieren. Dies war ein wichtiger Schritt, da die Götter längst aufgrund ihrer Unvereinbarkeit von Liebe und Macht gescheitert waren und die tiefere Wahrheit des Lebens verfehlt hatten. Leider fehlte es Siegfied an Klugheit und Wissen, mit seiner (unbewusst) erworbenen Freiheit verantwortungsvoll umzugehen und so wurde er Opfer einer Intrige aus Neid und Machtgier. Siegfried wurde ermordet, noch bevor er von seiner Freiheit in Form von Erkenntnis Gebrauch machen konnte.
"Der Ring des Nibelungen" stellt also eine wunderbare Parabel zwischen dem Verhältnis von freien Willen und Religion, von Liebe und Macht dar. Den tragischen Höhepunkt bildet im letzten Teil der Tetralogie, der "Götterdämmerung", nun eben Siegfieds Tod. Darauf folgt Siegfrieds Trauermarsch, eine der wohl größten Kompositionen Wagners, die an erschütternder Stimmungsdichte kaum zu überbieten ist. Bezeichnenderweise ist dieser Teil des Rings rein instrumental gestaltet. Wagner verzichtet hier auf jedes Wort, da dieser tiefe Einschnitt ins Werk offenbar nur mit Musik vermittelt werden konnte. Der Trauermarsch steht wie bei Mozart und bei Beethoven in der düster-tragischen Tonart c-Moll.
Zum Aufbau der Musik muss man wissen, dass Wagner in seinem Ring mit Leitmotiven arbeitete, wie in keiner anderen seiner Opernwerke. Jede Person, jeder Gegenstand, jedes Empfinden besitzt sein eigenes musikalisches Motiv, das sich durch alle vier Teile des Rings ("Rheingold", "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung") erstreckt und beim Erscheinen oder Erwähnen der Person, des Gegenstandes, des Empfindens in irgendeiner Form musikalische Verarbeitung findet. Aus diesem Grund besteht auch Siegfrieds Trauermarsch aus einer Fülle dieser Motive, da hier viele Empfindungen und Handlungsstränge kulminieren. Es sei hier lediglich auf die wichtigsten Motive verwiesen: Nach einer kurzen Einleitung erklingt in Minute 1:23 in seiner vollen Stärke das "Todes-Motiv", gefolgt von jenem des "Rheingoldes" in Minute 1:39. Nach erneutem Erscheinen des "Todesmotives", erklingen mehrer kleinere Motive aus dem zweiten Teil der Tetralogie, der "Walküre". Das nächste markante Thema ist Siegfrieds "Schwert-Motiv", das ab Minute 3:52 in rhythmischer Verbreiterung erklingt und triumphal (in leuchtendem C-Dur) in eine Überlagerung mit dem "Todes-Motiv" mündet. Darauf erklingt ab Minute 4:28 heroisch in düsterem c-Moll durch die Blechbläser (darunter auch eigens angefertigte "Wagner-Tuben") das eigentliche "Siegfried-Motiv", mündet erneut in das nach Dur gewandte "Todes-Motiv" und erlebt monumentale Verbreiterung. Daraufhin verebbt langsam der Trauermarsch mit dem trostspendenden "Liebes-Motiv" von Siegfrieds trauernder Gattin Brünnhilde (ab Minute 6:12) sowie mit dem zart nachbebendem "Siegfried-Motiv". Ein Stück epochale Musik geht so mit einem Funken Hoffnung und stillem Trost zu Ende.
Die nächste Trauermusik, die hier präsentiert werden soll, hat ebenfalls etwas mit Richard Wagner zu tun. Allerdings behandelt diese nun nicht Siegfrieds Tod, sondern seinen eigenen. Die Musik stammt von dem glühenden Wagner-Verehrer Anton Bruckner (1824-1896). Es handelt sich um den zweiten Satz seiner 7. Symphonie, der im Gedenken an Wagner vollendet wurde, nachdem Bruckner während dessen Komposition von Wagners Ableben im Februar 1883 erfahren musste. Bruckners tiefe Erschütterung spiegelt sich in der Musik wider, welche im entrückten und selten verwendeten cis-Moll steht. Doch trotz dieser entrückten, düsteren Grundtonart, brechen immer wieder lichte Dur-Momente hervor, die hoffnungsvoll Trost zu spenden suchen. Und entsprechend ist dieser Satz auch zu sehen, den Bruckner mit "sehr feierlich und sehr langsam" zu spielen vorgab.
Diese monumentale, intensive Musik kennt nicht ihresgleichen und ist im Grunde selbstsprechend. Eine Anmerkung sei jedoch hinsichtlich der Instrumentation gemacht: Bruckner verwendet hier als Hommage zum ersten Mal "Wagner-Tuben" im Orchester, die ursprünglich eigens für Wagners Ring angefertigt wurden. Diese sind es auch, die zum Klagegesang auf den verstorbenen Meister in Minute 19:55 anheben, als Bruckner während der Komposition die Mitteilung von Wagners Tod ereilt hat. Dies ist Bruckners tiefe Verneigung vor seinem verehrten Meister und der endgültige Abschied zugleich. Ergreifenderes wurde selten in Musik gefasst.
Den Abschluss bildet der einleitende Trauermarsch der 5. Symphonie von Gustav Mahler (1860-1911), der "In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt." erklingen soll. Dieser hat die Tonart von Bruckners Trauermusik für Wagner gemeinsam, nämlich cis-Moll. Auch zu Beethoven lassen sich Parallelen ziehen, da diese 5. Symphonie viele Gemeinsamkeiten mit Beethovens eigener 5. Symphonie in c-Moll (vergleiche hierzu den Artikel "Beethoven und Harnoncourt - Befreiung vom Schicksal" vom 24.5.2015) besitzt: Die Trompeten-Fanfare am Beginn des Satzes verweist rhythmisch auf die berühmten einleitenden Takte von Beethovens 5. Symphonie. Und das Gesamtkonzept von Mahler in dieser Symphonie entspricht ebenfalls jenem Beethovens, nämlich "Durch die Nacht zum Licht". Die düsteren Moll-Tonarten der einleitenden Sätze erleben im Verlauf der Symphonie einen Wandel, sodass diese letztlich in strahlendem Dur enden. Somit stehen auch hier Hoffnung und Trost abschließend im Vordergrund.
Der Mensch ist zu großen Gefühlen fähig. Die Kunst verleiht ihm die Möglichkeit, sein Empfinden in Form eines Gedichtes, eines Gemäldes oder eines Musikwerkes darzustellen, um etwas Großes zu schaffen und dieses Große mit anderen zu teilen. Hierzu ist die Musik wohl die intensivste und unmittelbarste Form der Weitergabe tiefer Gefühle. Und vielleicht ist das Größte, das gelingen kann, jene Gabe, wenn Musik aus der Erfahrungswelt eines Menschen in jene eines anderen dringt und diese verändert, bereichert, ja vielleicht sogar heilt.
Wo Worte enden, beginnt die Musik.
Wo Sprache keinen Ausdruck mehr kennt, klingt Musik als Vermittler fort.
Und wo ein aufgeschlossenes Herz weilt, wird Musik verstanden werden ...
... und das Herz vielleicht Trost finden.