Das Streichquartett wurde in der
Wiener Klassik begründet. Durch bahnbrechende Beiträge von Komponisten wie Joseph
Haydn (1732-1809) galt es bald als Königin der Kammermusik und wurde maßgebend
für folgende Generationen. Das Ensemble von zwei Violinen, einer Viola und
einem Cello schien für ein schlankes und zugleich ausgewogenes Klangbild ideal
zu sein und gewann Modellcharakter. Doch nicht vom Streichquartett handelt der
heutige Artikel, sondern von einer Gattung, die aufgrund der Reduktion um eine
Violine an Ausdruck und Balance zu verarmen oder gar zu scheitern droht, dem
Streichtrio.
Kann ein Trio bestehen, wo sich die
Form des Quartetts etabliert hat?
Einigen Meistern sind Streichtrios
gelungen, welche eben nicht als reduzierte Quartette erscheinen, sondern als vollendete
Schöpfungen, die anderen Gattungen auf Augenhöhe begegnen können. Auch wenn die
Komposition von Streichtrios selten versucht wurde, entstanden von der Wiener
Klassik an bis in die Wiener Moderne wertvolle
Beiträge. Diese fristen bis heute ein Schattendasein neben den Quartetten und bilden
meist unbeachtete Gipfelpunkte der Kammermusik. Diese sollen nun durch vier Artikel vorgestellt und dem einen oder anderen näher gebracht werden.
Artikel 2 - Beethoven
Der junge Ludwig van Beethoven
(1770-1827) hatte es anfangs wahrlich nicht einfach: Als er sich Mitte der
1790er Jahre in Wien als Komponist etablieren wollte, war das gewaltige
Lebenswerk Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) bereits abgeschlossen und sein
Lehrmeister Joseph Haydn (1732-1809) schuf seine reifsten und vollkommensten Streichquartette
sowie Symphonien. Es muss für Beethoven keine leichte Bürde gewesen sein, auf
diesem hohen kompositorischen Niveau anzuschließen und gleichzeitig einen
eigenen, unverwechselbaren Stil zu kreieren. Aus diesem Grunde vermied er vorerst
Komposition in jenen Gattungen, welche Mozart und Haydn bereits mit glänzenden
Beiträgen bereichert und popularisiert hatten, um einem direkten Vergleich mit
seinen älteren Kollegen zu entgehen. Sein Fokus lag zunächst daher nicht auf
Streichquartetten oder Symphonien, sondern auf intimeren Formen wie der Klaviersonate
und unkonventionellen Besetzungen wie dem Streichtrio.
Vor allem die Gattung des
Streichtrios muss für den jungen Beethoven einen besonderen Reiz gehabt haben, da
er gleich fünf frühe Kompositionen auf diesem Gebiet schuf: das Streichtrio
op.3, die Serenade op.8 und die Streichtrio-Trias op.9. Während die ersten
beiden Werke dieser Gattung noch etwas an „Divertimenti“ vergangener Zeiten
erinnern, von denen Mozart wenige Jahre zuvor in Form seines Streichtrios (KV
563, siehe vorherigen Artikel) ein grandioses Werk gelungen ist, betritt
Beethoven mit seinen drei Streichtrios op.9 gänzlich Neuland. Diese wurden in
den Jahren 1796-98 komponiert und sind ebenso bedeutend wie zukunftsweisend. Das letzte der drei Streichtrios, op.9/3 in
c-Moll, ragt hierbei besonders hervor. Es trägt bereits vollends die
kompromisslose, revolutionäre Handschrift des späteren Beethovens und stellt
nicht nur einen Höhepunktpunkt seines Frühwerks dar, sondern ist den Meisterwerken
seiner späteren Jahre ohne Abstriche zur Seite zu stellen.
Der Kopfsatz „Allegro con
spirito“ beginnt in dunklem c-Moll mit einem markant absteigenden Viertonmotiv,
das in unheimliche neue Dimensionen gleitet. Der düster-dramatische Charakter
dieses Motivs wird den ganzen Satz prägen und während der Durchführung als auch
der Reprise in bislang unbekannte, dämonische Abgründe vordringen. Es entspinnt
sich darauf ein Satz voll von zerfahrenen Melodielinien, getriebenen Dynamiken,
herber Kontrapunktik, scharf-peitschenden Dissonanzen und zerklüfteten
Themengruppen. Jedes kurze Aufblitzen von versöhnlichen Dur-Anklängen wird unmittelbar
durch unerbittliche Moll-Eintrübungen verdunkelt und ins schattenhaft
Gespenstische gezerrt. Dieser von manischer Leidenschaft und tiefem Ernst
geprägte Satz kann fast als Keimzelle von Beethovens späteren Moll-Werken
betrachtet werden und beherrscht alles Stiltypische schon auf souveräne,
erhabene Weise.
Der folgende langsame Satz mit
der Bezeichnung „Adagio con espressione“ (8:20) klingt wie das versöhnliche
Gegenstück zum vorangegangenen. Auch er enthält ein absteigendes Viertonmotiv, das
– diesmal in Dur - gleich zu Beginn von elegischer Zartheit vom Cello
vorgetragen wird. Darauf entwickelt sich ein verinnerlichter Gesang, der zum
Schönsten gehört, das dem Geiste Beethovens je entsprungen ist. Auf wundersame Weise
entfalten sich die herrlichen, melodischen Einfälle, denen auch Episoden
stürmisch-kontrapunktischen Abgleitens in düstere Moll-Regionen des ersten
Satzes nichts anhaben können. Die dynamische Bandbreite auf der Beethoven hier
Ausdruck findet, stößt das Tor zur Romantik weit auf und lässt auf die
visionäre sowie poetische Ader des Komponisten schließen. Es handelt sich um einen seiner klangschönsten sowie empfindungsreichsten Sätze und man vergisst nur allzu leicht, dass dieses Wunderwerk mit nur drei aufeinander perfekt abgestimmten
Streichinstrumenten geschaffen wurde.
Das folgende Scherzo (15:14)
führt zurück in die dunklen, getriebenen Sphären des ersten Satzes und ist von
markanter, unruhiger Rhythmik wie jener eines diabolischen Tanzes geprägt. Auch
das in Dur stehende Trio-Intermezzo (16:17) schafft nicht den Durchbruch zur
Heiterkeit, sondern ist von zarter Melancholie durchdrungen. Das
ursprüngliche Scherzo-Thema ergreift kurz darauf erneut das Wort und führt den Satz zu Ende.
Das Finale (18:15) beginnt mit einem zerklüfteten
Themenmaterial, bevor es sich zu einem erhabenen, tanzartigen Seitenthema in es-Moll
(18:46) aufschwingt, wie es nur von Beethoven stammen kann. Doch jene düsteren Moll-Regionen
des ersten Satzes werden nicht mehr erreicht. Dieser Satz wirkt als
versöhnliche Abrundung dieses facettenreichen Werkes. Dementsprechend geht der
Satz auch in hellem, zartem C-Dur zu Ende, was dem denkbar größten Kontrast zu
dem dunkel absteigenden c-Moll Beginn des ersten Satzes entspricht. Dieses
Prinzip „per aspera ad astra“ („durch die Nacht zum Licht“) soll für Beethoven
auch in späteren Meisterwerken wie seiner 5. oder 9. Symphonie eine große Rolle
spielen. Doch dies ist im Artikeln "Beethoven und Harnoncourt - Befreiung vom Schicksal" vom Mai 2015 nachzulesen. Wir begnügen uns vorerst damit,
dass wir eines der schönsten und gleichzeitig unbekanntesten Werke Beethovens entdecken durften:
Wo Mozart eine ausgewogene,
harmonische Vollendung gelungen war, focht Beethoven um neue, eigene
Ausdrucksformen. Dieser Kampf war die radikale Suche nach bislang
unbeschrittenen Wegen und scheute vor sperrigem Themenmaterial, melodischer
Verknappung, erweiterter Dynamik, kühner Kontrapunktik und grellen Dissonanzen
nicht zurück. Dieser Kampf voll von innerer Zerrissenheit als auch triumphalen
Lösungen läutete eine neue Ära in der Musikgeschichte ein, die Ära Beethovens.
Und spätestens in diesem Streichtrio nahm sie ihren Ausgangspunkt und begann
ihren einzigartigen Siegeszug rund um die Welt.