Ludwig van Beethoven (1770-1827) war kein Opernkomponist an
sich. Das Bearbeiten von Opernstoffen rang ihm große Mühe ab und nährte seine
Selbstzweifel hinsichtlich der Bühnenwirksamkeit seiner Musik. So kam es, dass
er seine Oper „Fidelio“ nach der Uraufführung 1805 noch zweimal (1806 und 1814)
revidierte, bevor das Werk endgültig aus der Hand gegeben wurde. Was dabei
entstand, ist Beethovens Befreiungsoper, sein Ideendrama, das von humanistischen Idealen geprägt ist und
die eheliche Treue hochhält. Es blieb auch nach der letzten Revision ein
uneinheitliches Werk, das zwischen Singspiel und Tragödie schwankt und dennoch
Musik enthält, die zum Schönsten aus Beethovens Feder gehört. Nicht zuletzt
deswegen wurde seine einzige Oper eine der berühmtesten weltweit.
1. Handlung
Die Handlung von Fidelio spielt sich auf vier Ebenen ab und ist
im Grunde schnell erzählt: Florestan ist ein politischer Gefangener des
Gouverneurs Don Pizarro und wird auf der tiefsten Ebene (Ebene 4) in dessen
Gefängnis in Sevilla in Ketten festgehalten. Da Florestan zu Unrecht
festgehalten wird, fürchtet Don Pizarro seinen Vorgesetzten, den Ministers Don Fernando, der Recht sprechen könnte. Um
bei einer möglichen Anreise des Ministers vorgewarnt zu sein und rechtzeitig
Vorkehrungen treffen zu können, positioniert er am höchsten Punkt des
Gefängnisses (Ebene 1) einen Wächter, der bei einer nahenden Ankunft Don
Fernandos eine Trompetenfanfare ertönen lassen soll.
Zwischen diesen beiden Ebenen spielt sich alles Übrige ab:
Leonore, Florestans Frau, tritt als Mann verkleidet mit dem Namen „Fidelio“ (auf
Ebene 2) in den Dienst des Kerkermeisters Rocco und versucht so Zutritt zu
ihrem Mann zu erlangen, um diesen zu befreien. Damit wäre im Grunde die
Ausgangslage des Dramas umrissen. Es kommt jedoch auch ein kleines Lustspiel
hinzu: Die Tochter Roccos, Marzelline, verliebt sich in „Fidelio“ und ihr
bisheriger Verehrer Jaquino, seines Zeichens Pförtner des Gefängnisses, wird eifersüchtig.
Keiner der Beteiligten ist sich freilich des wahren Geschlechtes „Fidelios“
bewusst und so kommt es zu einigem Verwirrspiel.
Durch Leonores (alias „Fidelio“) Diensteifer erlangt sie
bald schon Zugang zum Gefängnis (auf Ebene 3), wo sie aus Mitleid mit den
Gefangenen und in Hoffnung ihren Mann zu finden mit Rocco (ohne Erlaubnis von
Don Pizarro) diesen Ausgang in den Innenhof des Gefängnisses ermöglicht. Doch
Florestan befindet sich nicht unter diesen Gefangenen, da sich sein Verließ
noch tiefer (nämlich auf Ebene 4)
abseits von allen anderen Gefangenen und in vollkommener Dunkelheit
befindet. Leonore bekommt aber auch hierfür bald die Möglichkeit in diese
Tiefen vorzudringen, da sie mit Rocco hinabsteigen muss, um ein Grab
auszuheben. Es stellt sich heraus, dass dieses für Florestan bestimmt ist,
da Don Pizarro diesen ermorden will.
Doch alles kommt zu einem guten Ende. Als Don Pizarro den
Mord verüben will, gibt sich „Fidelio“ als Leonore zu erkennen und hält diesen
mit einer Pistole in Schach. Darauf erklingt die Trompetenfanfare, welche die baldige
Ankunft des Ministers Don Fernando ankündigt und somit die Befreiung nahe ist,
da Don Pizzaro bereits handlungsunfähig gemacht wurde. (Ebene 1 verkündet also
in diesem Fall Ebene 3 und 4, dass auf Ebene 2 Rettung naht.)
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2. Ouvertüren
Es gibt von der Oper „Fidelio“ drei Versionen. Was die
Ouvertüren, jene einleitenden Orchesterstücke, betrifft, gibt es sogar vier.
Jede einzelne Version erhielt eine eigene Ouvertüre, eine weitere wurde bereits
vor der ersten Uraufführung entfernt. Die Ouvertüre zur finalen Version aus dem
Jahre 1814 trägt freilich den Namen „Fidelio“-Ouvertüre. Alle anderen tragen
den Namen „Leonore“, da dies der ursprünglich von Beethoven gewünschte Titel der
Oper war. Somit existieren drei „Leonore“-Ouvertüren, welche aus der Oper
entfernt wurden. Speziell die „Leonore“-Ouvertüre Nr. 3 (jene von der
Aufführung der ersten Revision 1806) gilt es eigens zu betrachten, da diese
nicht nur eines von Beethovens Meisterwerken ist, sondern da sie ein Eigenleben
entwickelt hat, das auch für heutige Aufführungen der Oper höchst relevant ist.
Es gilt nun also die „Leonore“-Ouvertüre Nr. 3 sowie die eigentliche
„Fidelio“-Ouvertüre näher zu betrachten, was nicht nur für die Geschichte der
Oper aufschlussreich ist, sondern auch tiefe Einblicke in die
Kompositions-Werkstatt Beethovens erlaubt.
2.1 „Leonore“-Ouvertüre Nr. 3
Hierbei handelt es sich um ein monumentales Werk, das
den Rahmen aller bisheriger Opern-Ouvertüre sprengt und im Grunde der erste Vertreter einer „Symphonische Dichtung“ ist, welche erst zu späteren Zeiten
in der Romantik als Gattung etabliert werden sollte. Diese Ouvertüre nimmt in
weiten Teilen rein instrumental wesentliche Aspekte der Handlung vorweg: Sie
beginnt mit einem Terzabstieg, der von Seufzer-Motiven begleitet wird. Wir
werden somit vor Beginn der eigentlichen Handlung akustisch Zeuge, wie
Florestan in die Tiefen des Gefängnisses hinabgeführt wird. Dass es sich hierbei
tatsächlich um Florestan handelt, belegt das in Minute 0:58 einsetzende
„Florestan“-Thema, welches im weiteren Verlauf der Ouvertüre sowie später in
der Kerkerszene der Oper eine große Rolle spielen wird. Im Übrigen ließ sich auch
Robert Schumann (1810-1856) von diesem Thema inspirieren, der daraus das Hauptthema
seines großartigen Klavierkonzertes in a-Moll ableitete.
Darauf entspinnt sich in der Ouvertüre leidenschaftliche und
dynamischer werdende Musik, die den immer stärker werdenden Freiheitsdrang
Florestans und seine aufkeimende Sehnsucht nach Leonore heroisch symbolisiert
und im vollen „Freiheitsthema“ ab Minute 4:00 seinen Höhepunkt findet. Im Übrigen ließ sich auch Antonín Dvořák (1841-1904) von diesem Thema inspirieren, der daraus das Hauptthema seines großartigen "Amerikanischen Quartettes" in F-Dur ableitete.
Der nächste handlungsweisende Aspekt befindet sich am Ende
der Durchführung in Minute 7:15. Es
handelt sich um das Erklingen der Trompetenfanfare des Wächters am
Aussichtsposten, welche die Ankunft des Ministers Don Fernando ankündigt. Nach
dieser Fanfare folgt himmlische Musik, die bereits auf die Erlösung, die
Befreiung am Ende der Oper hinweist. Diese herrliche Musik wird von einem
erneuten Erklingen der Fanfare in Minute 7:51 eingeschlossen und soll genau in
dieser Form zu einem späteren Zeitpunkt der Oper eine große Rolle spielen.
Die Ouvertüre endet heroisch und triumphal im hymnischen
Glanz des „Freiheitsthemas“.
Warum hat Beethoven dieses Meisterwerk der Instrumentalmusik
entfernt? Das hat wohl mit den Misserfolgen der ersten Aufführungen zu tun. Das
Publikum reagierte eher verhalten auf die Oper. Beethoven machte dies an der
monumentalen Ouvertüre fest, die möglicherweise das damalige Publikum
überfordert hatte. Darüber hinaus begann die Oper nach Öffnen des Vorhanges eher
im kleinen Rahmen wie ein Singspiel, was einen großen Kontrast bedeutete. Beethoven
wusste, dass die Dimensionen diese Ouvertüre nicht geeignet waren, die
Konzentration des Publikums auf die nachfolgende Handlung auf der Bühne zu
lenken. Nach dieser Höchstleistung an Instrumentalmusik kämpften die Akteure
auf der Bühne eher auf verlorenem Posten, da ein irritiertes, überreiztes
Publikum kein dankbarer Empfänger für eine sich entwickelnde Handlung war.
So musste Beethovens Entschluss gefallen sein, diese
Ouvertüre zurückzuziehen und für die nächste Revision eine adäquatere,
publikumsgerechtere beizusteuern, welche auf das nachfolgende Bühnengeschehen
abgestimmt war. Dies wurde die finale „Fidelio“-Ouvertüre.
Doch die großartige „Leonore“-Ouvertüre Nr. 3 war nun
nicht nur zur Aufführung im Konzertsaal verdammt. Es etablierte sich im Laufe
des 19. Jahrhunderts, diese Ouvertüre auch im Rahmen der Oper aufzuführen.
Meistens geschah dies am Ende der Oper beim Szenenwechsel von Ebene 4 auf Ebene
2 nach Erschallen der Trompetenfanfaren. Dies wurde 1904 bei der bedeutenden
Inszenierung des damaligen Wiener Hofoperndirektors Gustav Mahler (1860-1911) beibehalten
und somit für viele sanktioniert. So wurde diese Ouvertüre nicht nur dem
Konzertsaal geschenkt, sondern ging auch dem Opernsaal nicht verloren.
2.2 „Fidelio“-Ouvertüre
Die Ouvertüre zur finalen Version aus dem Jahre 1814 wirkt
im Vergleich zur der Vorgängerin entschlackt und als werkeinführendes
Musikstück geeigneter. Die direkten Handlungsbezüge fallen weg. Die dunkle,
heroische Stimmung blitzt nur vereinzelt auf, es herrscht zumeist
Hoffnungsschimmer am Horizont. Mit dieser kompakten Einleitung findet Beethoven
direkt Anschluss zum singspielhaften Beginn nach Öffnen des Vorhangs auf der
Bühne:
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3.1 „Mir ist so wunderbar“
Der erste große Höhepunkt im 1. Akt ist nach dem
einleitenden Singspiel ein vierstimmiges Wunderwerk in Form eines Kanons. Nach
der doch etwas komplizierten Grundkonstellation zwischen Fidelio, Marzelline,
Jaquino und Rocco plagen jede dieser Figuren ganz eigene Sorgen und Gedanken.
Beethoven lässt alle zugleich zu Wort kommen, indem einer nach dem anderen mit
der gleichen Melodie seinem Sinnen Ausdruck verleihen darf. Das Ergebnis ist
eine der liebevollsten und zärtlichsten Arien der Operngeschichte:
3.2 „Gefangenenchor“
Nicht nur Giuseppe Verdi (1813-1901) komponierte einen
Gefangenenchor, sondern auch Beethoven griff auf einen solchen im Finale des 1.
Aktes zurück. Er ist ein Glanzstück der Oper, von erschütterndem
Realismus und klanglicher Innigkeit. Auf Fidelios Betreiben lässt Rocco die
Gefangenen von Ebene 3 zu einem Gang durch den Hof aus ihren Kerkern. Die aus den
dunklen Tiefen Tretenden sehen geblendet zum ersten Mal seit Langem wieder
Tageslicht und wagen wieder zu hoffen. Dieser rührende Moment wird von
Beethoven feinfühlig umgesetzt und gipfelt in Minute 3:44 in den sehnsuchtsvollen
Worten:
„O Himmel! Rettung! Welch ein Glück!
O Freiheit kehrest du zurück?“
Dieser Moment ist wohl einer der ergreifendsten und
herzbewegendsten der Oper. Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) hat wohl nicht
zufällig das Hauptthema seines Violinkonzertes in D-Dur daraus abgeleitet.
3.3 „Gott! Welch Dunkel hier“
Der Beginn des 2. Aktes führt hinab auf Ebene 4 in die tiefsten
Tiefen von Florestans Verlies. Er befindet sich dort alleine, angekettet und in
totaler Finsternis. Eine düstere, orchestrale Einleitung vermittelt diese hoffnungslose,
beklemmende Lage. Beethoven gelingt hier ein eindrucksvolles tonmalerisches
Stimmungsbild. Wenn Florestan mit dem Gesang einsetzt, reflektiert er über
seine verzweifelte Situation. Dazu mischt sich ab Minute 5:23 das
„Florestan“-Motiv aus der „Leonore“-Ouvertüre. Daraufhin beginnt er zu
phantasieren und endet nahe des Wahnsinns in einer leidenschaftlichen
Liebeserklärung an seine Frau: „Ein Engel, Leonore, der Gattin, so gleich, der
führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich!“
Beethoven bereichert hier mit seinen symphonischen und
theatralischen Ansprüchen nicht nur die Opernliteratur mit einem singulären
Meisterwerk, sondern stößt gleichzeitig weit das Tor in die Romantik auf.
3.4 „O Gott! Welch ein Augenblick!“
Das Finale des zweiten Aktes, wenn Leonore ihrem Gatten
Florestan die Ketten abnehmen darf, gehört zum lyrischsten und innigsten, was
Beethoven geschrieben hat. Bevor der große Schlussjubel eintritt, wird ein
Augenblick der stillen Einkehr gewidmet, der daran erinnern lässt, dass
Freiheit, Liebe und Selbstbestimmung keine Selbstverständlichkeiten sind,
sondern Ideale, für die es zu kämpfen gilt, wenn einem diese verwehrt werden,
und die man demütig und bewusst leben soll, wenn man sie besitzt. Beethoven setzt
hier seiner Überzeugung ein musikalisches Denkmal von größter Intensität.