Ein Selbstmord mitten in Wien. Ohne ersichtlichen Grund. Ohne jede Erklärung. Was bleibt: offene Fragen, kein Motiv. Ein Freund des Toten begibt sich auf die Suche nach Antworten und wird dabei in eine Welt voller Geheimnisse und Botschaften geführt. Es entspinnt sich eine Reise, wo Sinnsuche auf Kunst als Ausdruck innerer Not und unerfüllter Sehnsucht trifft. Je mehr Antworten gefunden werden, desto abgründiger erscheint diese Welt, die nicht nur das Schicksal des Verstorbenen birgt, sondern auch das Wesen des Suchenden offenbart, der vom Ahnenden zum Erkennenden wird.
Ein Physiker wird von seinem Freund darum gebeten, von Paris nach Wien zu reisen, um ihn dort zu treffen. Nach Ankunft erfährt er von dessen Selbstmord. Eine anonyme Nachricht veranlasst ihn, sich spätabends dennoch am vereinbarten Treffpunkt einzufinden. Ein geheimnisvoller Mann, der Näheres zum Hintergrund des Selbstmordes zu wissen scheint, bietet die Führung zu den letzten Lebensstationen des Verstorbenen an, um die Beweggründe für dessen Tat zu rekonstruieren und Antworten zu finden. Es beginnt eine Reise, eine Spurensuche durch die nächtliche Wiener Altstadt. Dabei erfährt der nachforschende Freund, dass der aus dem Leben Geschiedene an bestimmten Orten Botschaften hinterlassen hat, die Themen aus Kunst- und Kulturgeschichte – von Dante Alighieris "Die Göttliche Komödie" und Claudio Monteverdis "L'Orfeo" über Wolfgang Amadeus Mozarts "Requiem" und Franz Schuberts Spätwerk bis hin zu Richard Wagners "Parsifal" und Thomas Manns "Joseph und seine Brüder"– zu behandeln scheinen. Bei näherer Betrachtung beleuchten diese aber dessen innere Not sowie den Versuch, diese zu überwinden. Darüber hinaus beinhalten die Botschaften ein dichtes Netz an Querbezügen, die tiefe Einblicke in die Psyche des verstorbenen Freundes sowie dessen letzten Tage geben. Dem nachforschenden Freund wird bald bewusst, dass auch den Schauplätzen, an die er geführt wird, sowie den Personen, denen er auf der Reise begegnet, wiederkehrende Motive eingeschrieben sind, die einem Muster entsprechen und Bezüge zueinander sowie zu den Botschaften des Verstorbenen aufweisen.
Im Laufe der Reise erfährt der Physiker selbst eine Entwicklung vom Suchenden zum Involvierten, vom außenstehenden Betrachter zum aktiv Interagierenden, der plötzlich im Gewirr von unterschiedlichen Weltbildern und Betrachtungsweisen Teil eines immer enger gestrickten Netzes aus Motiven, Reflexionen und Symbolen wird. – So gelangt er letztlich zur leisen Ahnung, welcher Art die Not seines Freundes beschaffen war. Als er schließlich versteht, dass alle Begegnungen, Gespräche sowie die in den Botschaften verarbeiteten Themen schlüssige Komponenten eines übergeordneten Ganzen sind, tritt zur leisen Ahnung eine weitreichende Einsicht, die dem Suchenden die Augen öffnen und sein Leben für immer verändern wird …
So beginnt der wohl berühmteste Monolog der Weltliteratur von William Shakespeare. Es handelt sich um eine Frage von existenzieller Bedeutung und jene Person, welcher diese in den Mund gelegt wird, hat auch allen Grund dazu: Schließlich musste Prinz Hamlet von Dänemark vom Geist seines Vaters, des verstorbenen Königs, erfahren, dass dieser hinterlistig von seinem eigenen Bruder ermordet wurde. Der Mörder - Hamlets Onkel - heiratete kurz darauf die Mutter des Prinzen und reihte sich so in der Thronfolge unrechtmäßig vor Hamlet ein. Dessen Ansinnen ist fortan Rache. Doch dafür braucht es nicht nur ein Motiv, sondern auch den letzten Entschluss zur Tat zur rechten Zeit. Ein Dilemma, das Hamlet von innen nach außen trägt und zur ersten modernen Figur des Welttheaters macht.
Hamlet ist nicht nur ein grüblerischer Prinz, sondern auch ein perfekter Schauspieler, der sein wahres Ich bis hin zur Selbstaufgabe hinter Masken zu verbergen versteht. Er spielt ständig Theater und passt dabei seine Rolle der jeweiligen Situation, in der er sich befindet, an, um seine Ziele - ohne sich selbst preiszugeben - ungehindert verfolgen zu können. Entsprechend dynamisch gestaltet sich auch sein Sprachbild, das ständiger Wandlung unterworfen ist, sodass selbst der aufmerksamste Leser kaum hinter die Fassade des Protagonisten zu blicken vermag. Lediglich die Monologe sind es, die möglicherweise einen Schlüssel zu seinem wahren Empfinden bieten könnten (wobei auch hier fraglich bleibt, inwieweit sich Hamlet während dieser tatsächlich unbeobachtet fühlt und zu welchem Grad auch diese Selbstinszenierung sind…). Jedenfalls wird die höfische Außenwelt durch die Monologe, Hamlets Innenwelt, kontrastiert. Das innere Geschehen - bestehend aus schonungslosen Reflexionen voller Abgründe - wird so der äußeren Handlung zur Seite gestellt, ja wird selbst zum eigentlichen Drama. Wir erleben auf der Bühne das Gedankenringen eines Werdenden, der im Spielen seiner Rollen sich selbst abhanden zu kommen droht und im Inneren seines uferlos gewordenen Geistes Halt sucht. Den Prozess, den Hamlet durchmacht, könnte man als Geburt des Individuums, des mündig werdenden Ichs, das aus einem domestizierten Kollektiv auszubrechen begehrt, bezeichnen. Doch um dies zu erreichen, bedarf es nicht nur Gedanken und Reflexionen, sondern auch des Tätigwerdens, das dem Werdenden schließlich zum Seienden formt. Dass genau dieser Punkt Hamlet beschäftigt - und ihm letztlich auch zum Verhängnis wird -, macht das Stück nicht nur zu einem Drama über einen Prinzen aus einer vergangenen Epoche, sondern zur Tragödie des modernen Intellektuellen an sich. Die Fragen, die von Hamlet aufgeworfen werden, sind auch heute noch von zeitloser Brisanz und verlangen von jedem strebenden Menschen, sich ihnen im Laufe seines Lebens zu stellen. Hamlet tat dies in seinem berühmtesten Monolog, welcher die einleitende Frage nach Sein oder Nichtsein enigmatisch weiterführt und unzählige Interpretationsmöglichkeiten anbietet, auf beklemmend schonungslose Weise:
"Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben– schlafen–
Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ’s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben– schlafen–
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegt‘s:"
Hamlet sinniert hier nicht - wie oft behauptet - über den Selbstmord, sondern ob es „edler“ sei, das Leben zu ertragen oder es zu gestalten. Sollen die Widrigkeiten des Lebens stillschweigend erduldet oder soll gegen diese angekämpft werden? Das „Sein“ wird hier gleichgesetzt mit dem passiven Erdulden, dem Akzeptieren der Widrigkeiten, dem weiteren Fristen des Daseins unter den waltenden Umständen. Dem „Nichtsein“ kommt hier die heroische Geste des Aufbäumens zu, des Widerstandes gegen die herrschende Übermacht der Dinge, des Trotzens der gegebenen Bedingungen. Diesen Kampf könnte man mit dem Verlust des Lebens, der Nichtexistenz bezahlen. Das Nichtsein wäre damit dem Tod gleichgestellt. Natürlich würden die Plagen des Lebens dann enden, da sie für einen Toten ohne jede Bedeutung wären. Doch ist damit gesagt, dass das nicht Erdulden automatisch den Tod zur Folge hat? Oder ist es möglicherweise so zu verstehen, dass durch Widerstand die Chance besteht, seinem bisherigen Sein zu entsteigen und das „Nichtsein“ so vielmehr zu einem „Nicht-mehr-wie-vorher-sein“ würde, da man das einstige Dasein entgegen der waltenden Umstände überwunden und die alte Existenz abgestreift hätte? Auch dann verlören die Widrigkeiten ihre ursprüngliche Bedeutung für jenen der unter ihnen gelitten hat. Überwindet nicht auch ein Mensch im Zuge seines Heranreifens regelmäßig, ja sogar notwendigerweise seine unwissenden, hilfloseren früheren Existenzen? Ist ein potentes Heute nicht der Tod eines ohnmächtigen Gestern? Die einstigen Widrigkeiten könnten einem dann nichts mehr anhaben. Ruhe wäre die Folge. Und die sinnlichste wie ausdrucksstärkste Allegorie für Ruhe – wie auch für den Tod – ist der Schlaf. Und genau dieses Sinnbild gebraucht Hamlet in Verbindung mit Träumen und fährt weiter fort:
"Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,
Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,
Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte
Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
Und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,
Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
Ertragen als zu unbekannten fliehn."
Hamlet wird hier sehr bildlich und skizziert den Grund, weshalb so viele in den gegebenen Umständen zu verharren bevorzugen: Es ist die Angst vor dem Danach, vor den daraus resultierenden Konsequenzen. Das Ungewisse, was Menschen nach dem Widerstand erwartet, lässt sie vor diesem zurückschrecken. Wenn dem Sterben der Schlaf, mit dem auch die Träume einhergehen, folgt, spielt es nicht auch eine Rolle, welcher Art diese Träume sind? Hamlet wird an dieser Stelle sogar mit aller poetischer Kraft polemisch und stellt die Frage wer denn all das ertrüge, wenn man doch mit einer bloßen Nadel sogleich Schluss machen könne. Er spielt hier natürlich mit der Metapher des bequemen Entfliehens, des einfachen Selbstmordes, der allerdings aufgrund der Furcht vor dem ungewissen Jenseits vereitelt würde. Man sollte dies aber nicht zu wörtlich nehmen und die Ausführungen schlicht darauf reduzieren. Das, womit Hamlet ringt, sind nicht der Selbstmord, die Nadel und das unentdeckte Land, sondern die Symbole wofür diese stehen. Letzteres ist nicht nur eine Ungewissheit nach dem Tod, sondern auch ein Zustand im Leben, der sich nach einer Tat einstellen könnte. Ein Mensch betritt in seinem Werden stets Neuland, sei es auch nur im Fassen eines neuen Gedankens, und betritt Bezirke, in denen er zuvor noch nie gewesen. Auch in Hamlet formte sich sich ein Gedanke, auf den der Monolog abzielte und am Ende klar und unmissverständlich ausgedrückt wird:
"So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen."
Übersetzung: August Wilhelm Schlegel
Das Bewusstsein vom Unbewussten halte uns also von der Tat, dem Widerstand gegen unzumutbare Umstände, ab und zwinge uns zum Erdulden des Daseins im Jetzt. Schließlich seien es die Gedanken selbst, die einem Entschluss zum Handeln im Wege stehen. Die Nadel symbolisierte also den Entschluss, der Selbstmord die Tat, das unentdeckte Land ein Danach mit allen seinen Konsequenzen (und nicht notwendigerweise erst nach dem Tod). Die eigentliche Frage Hamlets war zu keinem Zeitpunkt „Selbstmord oder kein Selbstmord“, sondern viel grundsätzlicher und tiefgreifender „Handeln oder Nicht-Handeln“. Sein Wunsch war schließlich nie aus dem Leben zu scheiden, sondern seinen Vater zu rächen und den Thron rechtmäßig zu besteigen. Selbstmord wäre seinen Zielen stets diametral entgegengesetzt gewesen. Seine Gedanken sind daher keine pathologische Bestandsaufnahme eines suizidalen Gemüts, sondern besitzen ungeahnte psychologische, soziologische sowie politische Dimensionen von zeitloser Aktualität. Und dass es gerade die Gedanken seien, welche die Entschlusskraft hemmen und den Handlungen den Namen nehmen, trifft tief ins Mark des intellektuellen Wesens und benennt selbst-analytisch schonungslos Hamlets Dilemma: Die Angst vor dem Handeln, dem aktiven Gestalten, der Verantwortung für die Konsequenzen und damit einhergehend der Ungewissheit, den rechten Zeitpunkt zum Tätigwerden zu erkennen. Ein schier unbewältigbarer Konflikt entspinnt sich im Inneren Hamlets auf offener Bühne. Das beständige Warten auf den rechten Moment und die Unfähigkeit Selbstreflexion in Aktion münden zu lassen ist die große Tragödie, die uns durch Hamlet vor Augen geführt wird. Hamlet bietet sich zwar einmal die ideale Gelegenheit zur Tat, doch von Gedanken gehemmt ließ er diese verstreichen, um auf eine noch günstigere zu warten, die aber nie kam. Versäumnis heißt sein Schicksal. Als er schließlich zu handeln begann, war es bereits zu spät. Hamlet scheitert und lässt das Publikum mit den aufgeworfenen Fragen und inneren Konflikten allein zurück. In dem Moment, in dem wir verstehen, dass Hamlets Dilemma auch immanenter Teil unseres eigenen Lebens ist, werden wir von Betrachtenden zu Involvierten, denen das beklemmende Bewusstsein der Ungewissheit des Handelns zur rechten Zeit als Mahnung – ohne jede Lösung - mit auf den Weg gegeben wird. Einmal verinnerlicht lässt uns diese Problematik nicht mehr los und wir erkennen, dass Hamlet ein Abbild unserer selbst in einem Werk ist, dessen Schatten von beklemmender Beständigkeit auch in unsere Zeit ragt.
Hamlets letzte Worte waren: „Der Rest ist Schweigen.“ - Doch genau so soll dieser Artikel nicht enden. Das Harren auf den rechten Moment des gedankenverlorenen, im Handeln gehemmten Hamlet beschäftigte auch große Komponisten und inspirierte sie zu gewaltigen Tondichtungen. Drei Meister – Berlioz, Liszt und Tchaikovsky - seien hier repräsentativ hervorgehoben, die sich dem Thema auf ihre Weise gewidmet und musikalischen Ausdruck gegeben haben. Die verrinnende Zeit, das nagende Warten, die Unfähigkeit sich zur Tat zu entschließen und die damit einhergehende Tragik sind die durchdringenden Elemente der Werke, welche den soeben beschriebenen Konflikt auf musikalischer Ebene weiterführen: