Sonntag, 10. Oktober 2021
Nachtgedanken - "Nach einer Dante-Lektüre"
Dienstag, 14. September 2021
"Prokofjew – Motorisierter Meister des Grotesken"
Sergei Prokofjew (1891-1953) war ein russischer Meister, der spätromantische, impressionistische und neoklassizistische Klangsprachen zu absorbieren wusste, um daraus seinen eigenen Stil zu kreieren. Dieser war geprägt von einer Motorik mit Hang zum Grotesken, dem es an lyrischer Durchdringung nicht fehlte. So wurde Prokofjew sowohl zum Überwinder als auch zum Verbinder, dessen harmonisch kühne Schöpfungen die Tonalität zwar stellenweise ausreizten, sie aber im Ganzen zugleich wahrten. Das Streben nach Klangschönheit war letztendlich auch in Prokofjews Schaffen ein Ideal, was den russischen Meister zu einem großen Melodiker machte und in einer Zeit voller Umbrüche das große Publikum nie verlieren ließ.
Zunächst zur Motorik: Sie ist die rastlos treibende Kraft in fast allen Werken Prokofjews. Dies illustriert seine frühe Toccata op.11 besonders eindrucksvoll, die vor technisch-mechanischer Perfektion und entmenschlichter, vorwärtsdrängender Kälte nur so glänzt. Das Klavier wird vom Instrument zur Maschine umfunktioniert, die nicht durch melodiöse Themen, sondern durch markanter Rhythmik in Form von repetierenden Hammerschlägen besticht, die den dynamischen Verlauf des Werkes prägen und eine neue – mechanistische – Epoche in der Musikgeschichte einläuten.
Der eindringliche Befehl des Herzogs trifft leider auf taube Ohren. Die bewaffneten Ritter tanzen während eines Balls – es handelt sich schließlich um ein Ballett – auf und das motorische Element in Prokofjews Schaffen nimmt seinen wohl berühmtesten Lauf (1:17): Ein dunkles, gewichtiges Thema mit markant punktierter Rhythmik erhebt sich über einem stampfenden ostinaten Bass. Die Tempobezeichnung „Allegro pesante“ ist Programm und das düstere, schwere Schreiten erfährt eindrucksvolle Steigerungswellen, die auch schrill sich reibenden Dissonanzen nicht scheuen. Als Julia am Ball erscheint ändert sich der Charakter der Musik grundsätzlich (3:15): Das lyrische Element nimmt nun Überhand in Form einer Episode voll Anmut und Sehnsucht, welche Julia gewidmet und ein weiterer Beleg von Prokofjews Subtilität wie Vielseitigkeit ist. Voll sinnlicher Melancholie wird Julias zartes Wesen, ihre verletzliche Schönheit beschrieben und lässt kurz den martialischen Aufmarsch der Waffenbrüder vergessen, bevor deren gepulstes Tanzmotiv wieder die Führung übernimmt und das Stück kraftvoll abschließt. Möchte man Prokofjews Ausdrucksvielfalt in a nutshell demonstrieren, wäre dieses Stück keine schlechte Option.
Donnerstag, 19. August 2021
"Gustave Flaubert - Nachtgedanken I"
- aus 1. Teil, IX (Übersetzung: E.Edl)
Sonntag, 18. Juli 2021
"Jean-Paul Sartre - Existentialismus und Freiheit"
Der Existentialismus Jean-Paul Sartres (1905-1980) eliminiert nicht nur Gott, er lehnt auch jeden Glauben an ein ewig-gültiges Wertesystem sowie die allgemeine Bestimmbarkeit der menschlichen Natur und deren Schicksal ab. Gleichzeitig räumt er dem Menschen aber das ein, wonach dieser sich sehnt und wovor er sich dennoch fürchtet: Freiheit und Verantwortung. Dies macht Sartres Philosophie so provokant, so fordernd und so unangenehm aktuell, da demnach jeder für sich ein selbstbestimmter Entwurf ist, der die Menschheit und deren Zukunft überhaupt erst macht.
„Gemeinsam ist den Existentialisten die Tatsache, dass ihrer Ansicht nach die Existenz dem Wesen vorausgeht oder, wenn Sie so wollen, dass man von der Subjektivität ausgehen muss … Das bedeutet, dass der Mensch erst existiert, auf sich trifft, in die Welt eintritt, und sich erst dann definiert. Der Mensch ist zuvor nicht definierbar, weil er zunächst nichts ist. Er wird erst dann, und wird so sein, weil wie er sich geschaffen haben wird. Folglich gibt es keine menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, sie zu ersinnen ... Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht ... Das heißt, dass der Mensch erst das ist, was sich in eine Zukunft wirft und was sich bewusst ist, sich in die Zukunft zu entwerfen.“
Freitag, 2. Juli 2021
"Luis Buñuel - Atheist von Gottes Gnaden"
Luis Buñuel (1900-1983) war ohne Zweifel einer der bedeutendsten und innovativsten Regisseure der Filmgeschichte. In dem gebürtigen Spanier und bekennenden Atheisten fand die Bewegung des Surrealismus nicht nur einen ihrer Wegbereiter, sondern auch ihren ausdrucksstärksten Vollender im bewegten Bild: Allegorisch verschlüsselt und doch stets treffsicher werden starre gesellschaftliche Rituale und religiöse Irrlehren mit lustvoller Absurdität bloßgestellt und so dem – nicht selten schockierten – Publikum die eigene Borniertheit sowie das eigene Begrenztsein schonungslos, aber immer mit feinem Sinn für Humor vor Augen geführt. Nicht selten vermag Buñuels Bilderreigen eine neue, unorthodoxe Sicht auf die Welt zu vermitteln, der jede Konvention und Anbiederung fremd ist. Frühe surrealistische Traumvisionen wie „Ein andalusischer Hund“ (1929) oder „Das goldene Zeitalter“ (1930) zeugen genauso davon wie die Meisterwerke „Viridiana“ (1961), „Der Würgeengel“ (1962) und der späte, abgründig groteske Triptychon bestehend aus „Die Milchstraße“ (1969), „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (1972) sowie „Das Gespenst der Freiheit“ (1974).
Wenige Monate vor seinem Tod verfasste Buñuel – gemeinsam mit Jean-Claude Carrière (1931-2021), mit dem er sechs Drehbücher seiner späten Filme entworfen hatte – seine Lebenserinnerungen in Form eines Buches mit dem bezeichnenden Titel "Mein letzter Seufzer". Darin gelang ein Paradoxon: Ein nüchterner, lakonischer Stil, von dem Hemingway nur träumen konnte, paart sich mit Beschreibungen von scheinbar minutiöser Exaktheit und doch unverhohlen rein fragmentarischem Charakter. Wir werden hierbei Zeugen von Buñuels Gedankengängen, in denen aufgrund ihrer innewohnenden Subjektivität Vorstellung, Erinnerung und Wahrhaftigkeit untrennbar miteinander verschmelzen und die innere Widersprüche gar nicht erst auflösen wollen. Buñuel beschreibt das Leben unsentimental und illusionslos als episodenhaften Traum ohne Gewissheit auf Erlösung in Form eines klärenden Erwachens. Weit entfernt religiösen Lehren auch nur den Funken an Glauben zu schenken, stellen Buñuels Erinnerungen ein Bekenntniswerk ohne Bekenntnis dar; ein aus Reflexionen errichtetes Monument, das an nichts glaubt außer an unsere Nichtigkeit. Mit dieser Gewissheit ging Buñuel von der Welt und hinterließ sein letztes surreales Meisterwerk:
„Der Zufall ist der große Meister aller Dinge. Danach erst kommt die Notwendigkeit … Wenn auch unsere Geburt ganz zufällig ist, so tritt die Rolle des Zufalls doch zurück, wenn die menschlichen Gesellschaften sich bilden, der Fötus und dann das Kind sich den Gesetzen unterworfen sehen. Das trifft auf alle Arten zu. Die Gesetze, die Bräuche, die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen einer gewissen Entwicklung, eines gewissen Fortschritts, alles, was vermeintlich zur Durchsetzung, zum Vorwärtsschreiten, zur Stabilität einer Kultur beiträgt, der wir durch das Glück oder das Missgeschick unserer Geburt angehören, alles das bildet einen täglichen und hartnäckigen Kampf gegen den Zufall. Nie ganz vernichtet, zählebig und listenreich, versucht er sich der gesellschaftlichen Notwenigkeit anzupassen.“
- Zitate aus "Mein letzter Seufzer" (1982)
Dienstag, 22. Juni 2021
"Don Quijote - Ritter der Moderne"
„Don Quijote“ von Miguel de Cervantes (1547-1616) ist geistreichste Weltliteratur: Glänzt es an der Oberfläche mit virtuoser Komik, so schlummert unter dem lustvollen Fabulieren eine Tragik von epochalem Ausmaß. Den unbändigen Humor bezieht das Werk aus der Tatsache, dass ein vermeintlicher Ritter, Don Quijote, mit seinen hehren Idealen permanent an der Realität scheitert; die Tragödie besteht in der Tatsache, dass dieser unfähig ist, seine hoffnungslose Lage zu erkennen, sondern vielmehr in dieser zu verharren und so in sein Unglück zu stürzen. In dieser kompromisslosen Absage an einen Bildungsroman liegt Cervantes’ zeitlose Radikalität, die auch in unserer Gegenwart auf erschreckende Weise Manifestation erlangt und Don Quijote zu einer modernen Figur werden lässt.
Donnerstag, 15. April 2021
"Arthur Schopenhauer - Nachtgedanken XII"
- aus Buch 4 §55