Richard Wagner (1813-1883) schuf mit „Tristan und Isolde“ eines der bedeutendsten Gesamtkunstwerke der Musikgeschichte. Anlass gaben nicht nur bekannte mittelalterliche und romantische Dichtungen, sondern auch die unglückliche Liebe zu Mathilde Wesendonck. Eine Quelle findet seltener Erwähnung, kann aber an Einfluss auf das Werk kaum überschätzt werden: Es ist die Philosophie Arthur Schopenhauers (1788-1860), mit der sich Wagner während der Entstehungszeit auseinanderzusetzen begann.
Wagner las während der Konzeption von „Tristan und Isolde“ (1854) Schopenhauers 1819 veröffentlichtes Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (WWV) zum ersten Mal. Diese intellektuelle Auseinandersetzung schlug sich nicht nur in Briefwechsel jener Zeit nieder, sondern auch in späteren Schriften, in denen Wagner seine eigene Musik in Worte zu fassen versuchte, um ein unvorbereitetes Publikum Gehalt und Intention seiner Musik zu vermitteln. So schrieb er als Programmbeilage der Uraufführung des Vorspieles zum ersten Akt folgende eindrucksvollen Worte: „Nun war des Sehnens, des Verlangens, der Wonne und des Elends der Liebe kein Ende: Welt, Macht, Ruhm, Ehre, Ritterlichkeit, Treue, Freundschaft – alles wie wesenloser Traum zerstoben; nur eines noch lebend: Sehnsucht, unstillbares, ewig neu sich gebärdendes Verlangen, Dürsten und Schmachten; einzige Erlösung: Tod, Sterben, Untergehen, Nicht-mehr-Erwachen! … Umsonst! Ohnmächtig sinkt das Herz zurück, um in Sehnsucht zu verschmachten, in Sehnsucht ohne Erreichen, da jedes Erreichen wieder neues Sehnen ist ...“
Inhaltlich schwingt hier sehr viel von Schopenhauers Philosophie mit: Sprach Wagner von Sehnsucht und Verlangen, die sich immer neu gebärden, so nahm Schopenhauer dies in seinem Hauptwerk sinngemäß rund 35 Jahre vorweg, als er schrieb:
„Denn alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande, ist also Leiden, so lange es nicht befriedigt ist; keine Befriedigung aber ist dauernd, vielmehr ist sie stets nur der Anfangspunkt eines neuen Strebens. Das Streben sehn wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend; so lange also immer als Leiden: kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des Leidens.“ (aus WWV, Buch 4 §56)
An anderer Stelle heißt es
„Zwischen Wollen und Erreichen fließt nun durchaus jedes Menschenleben fort. Der Wunsch ist, seiner Natur nach, Schmerz: die Erreichung gebiert schnell Sättigung: das Ziel war nur scheinbar: der Besitz nimmt den Reiz weg: unter einer neuen Gestalt stellt sich der Wunsch, das Bedürfniß wieder ein: wo nicht, so folgt Oede, Leere, Langeweile, gegen welche der Kampf ebenso quälend ist, wie gegen die Noth.“ (aus WWV, Buch 4 §57)
Doch damit nicht genug: Wagner erkannte bereits zur Zeit der Konzeption von „Tristan und Isolde“ den Kern von Schopenhauers Philosophie. Dies belegt ein aufschlussreicher Brief an Franz Liszt (1811-1886) im Dezember 1854. In diesem Brief deutet Wagner nicht nur seine seelischen Qualen aufgrund der unerfüllten Liebe zu Mathilde Wesendonck an, sondern erwähnt namentlich auch sein philosophisches Erweckungserlebnis durch Schopenhauers Philosophie, die seinem Leben neue Impulse und Einsichten geschenkt habe. Wagner wies hierbei nachdrücklich auf die Verneinung des Willens zum Leben als philosophische Quintessenz hin, die ihm Trost spende, und erwähnte bei der Gelegenheit auch das im Entstehen begriffene und von Schopenhauers Gedankenwelt durchdrungene Werk „Tristan und Isolde“:
»Neben dem – langsamen – Vorrücken meiner Musik habe ich mich jetzt ausschließlich mit einem Menschen beschäftigt, der mir, wenn auch nur literarisch, wie ein Himmelsgeschenk in meine Einsamkeit gekommen ist. Es ist Arthur Schopenhauer, der größte Philosoph seit Kant, dessen Gedanken er, wie er sich ausdrückt, vollständig erst zu Ende gedacht hat. Die deutschen Professoren haben ihn – wohlweislich – 40 Jahre lang ignoriert: neulich wurde er, zur Schmach Deutschlands, von einem englischen Kritiker entdeckt. Was sind vor diesem alle Hegels etc. für Charlatans! Sein Hauptgedanke, die endliche Verneinung des Willens zum Leben, ist von furchtbarem Ernste, aber einzig erlösend. Mir kam er natürlich nicht neu, und Niemand kann ihn überhaupt denken, in dem er nicht bereits lebte. Aber zu dieser Klarheit erweckt hat ihn mir erst dieser Philosoph. Wenn ich auch die Stürme meines Herzens, den furchtbaren Krampf, mit dem es sich – wider Willen – an die Lebenshoffnung anklammerte, zurückdenke, ja wenn sie noch jetzt oft zum Orkan anschwellen, – so habe ich dagegen doch nun ein Quietiv gefunden, das mir endlich in wachen Nächten einzig zu Schlaf verhilft; es ist die herzliche und innige Sehnsucht nach dem Tod: volle Bewusstlosigkeit, gänzliches Nichtsein, Verschwinden aller Träume – einzigste endliche Erlösung … Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem von Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopfe einen „Tristan und Isolde“ entworfen, die einfachste, aber vollblütigste Konzeption; mit der schwarzen Flagge, die am Ende weht, will ich mich zudecken, um – zu sterben…«
Der Brief – wohl in einer emotionalen Ausnahmesituation geschrieben – fand in einer späteren (nach Abschluss der Oper verfassten) autobiographischen Schrift von 1864 seine Bestätigung, als Wagner rückblickend noch einmal den Zusammenhang zwischen der Entstehung von „Tristan und Isolde“ und der Entdeckung von Schopenhauers Philosophie betonte:
»Es war wohl zum Teil die ernste Stimmung, in welche mich Schopenhauer versetzt hatte und die nun nach einem ekstatischen Ausdrucke ihrer Grundzüge drängte, was mir die Konzeption eines „Tristan und Isolde“ eingab.«
Wagner bringt also selbst sein Musikdrama „Tristan und Isolde“ eng mit der Philosophie Schopenhauers in Verbindung und führt dabei bedeutsame Schlagworte wie „Verneinung des Willens zum Leben“ und „Quietiv“ an, die unmittelbar der Lektüre entnommen waren. Hierfür muss man wissen, dass Schopenhauer unter dem „Willen“ eine uns allen eingeschriebene, allgegenwärtige Kraft in Form eines blinden Dranges verstand, dem wir – sowie unsere Vorstellungswelt – unterworfen sind und der wiederum Existenzgrund für alles Seiende ist. Auf die Möglichkeit sich dieses Willens zu entledigen, um sich letztendlich zu erlösen, zielt die Kernaussage von Schopenhauers Hauptwerk, wo die beiden von Wagner verwendeten Schlagworte ausgeführt werden. Entsprechend brächte ein „Quietiv alles und jedes Wollens“ folgendes Ergebnis:
„Der Wille wendet sich nunmehr vom Leben ab: ihm schaudert jetzt vor dessen Genüssen, in denen er die Bejahung desselben erkennt. Der Mensch gelangt zum Zustande der freiwilligen Entsagung, der Resignation, der wahren Gelassenheit und gänzlichen Willenslosigkeit … Vielleicht ist also hier zum ersten Male, abstrakt und rein von allem Mythischen, das innere Wesen der Heiligkeit, Selbstverleugnung, Ertödtung des Eigenwillens, Askesis, ausgesprochen als Verneinung des Willens zum Leben, eintretend, nachdem ihm die vollendete Erkenntniß seines eigenen Wesens zum Quietiv alles Wollens geworden … Allem Bisherigen zufolge geht die Verneinung des Willens zum Leben, welche Dasjenige ist, was man gänzliche Resignation oder Heiligkeit nennt, immer aus dem Quietiv des Willens hervor, welches die Erkenntniß seines innern Widerstreits und seiner wesentlichen Nichtigkeit ist, die sich im Leiden alles Lebenden aussprechen … Wahres Heil, Erlösung vom Leben und Leiden, ist ohne gänzliche Verneinung des Willens nicht zu denken. Bis dahin ist Jeder nichts Anderes, als dieser Wille selbst, dessen Erscheinung eine hinschwindende Existenz, ein immer nichtiges, stets vereiteltes Streben und die dargestellte Welt voll Leiden ist, welcher Alle unwiderruflich auf gleiche Weise angehören.“ (aus WWV, Buch 4 §68)
An anderer Stelle bringt Schopenhauer die Verneinung des Willens in Verbindung mit der Überwindung des oben beschriebenen leidvollen Kreislaufes des vergeblichen Strebens nach Befriedigung der Wünsche:
„Vor uns bleibt allerdings nur das Nichts. Aber Das, was sich gegen dieses Zerfließen ins Nichts sträubt, unsere Natur, ist ja eben nur der Wille zum Leben, der wir selbst sind, wie er unsere Welt ist. Daß wir so sehr das Nichts verabscheuen, ist nichts weiter, als ein anderer Ausdruck davon, daß wir so sehr das Leben wollen, und nichts sind, als dieser Wille, und nichts kennen, als eben ihn. – Wenden wir aber den Blick von unserer eigenen Dürftigkeit und Befangenheit auf Diejenigen, welche die Welt überwanden, in denen der Wille, zur vollen Selbsterkenntniß gelangt, sich in Allem wiederfand und dann sich selbst frei verneinte, und welche dann nur noch seine letzte Spur, mit dem Leibe, den sie belebt, verschwinden zu sehn abwarten; so zeigt sich uns, statt des rastlosen Dranges und Treibens, statt des steten Ueberganges von Wunsch zu Furcht und von Freude zu Leid, statt der nie befriedigten und nie ersterbenden Hoffnung, daraus der Lebenstraum des wollenden Menschen besteht, jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüths, jene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit, deren bloßer Abglanz im Antlitz, wie ihn Raphael und Correggio dargestellt haben, ein ganzes und sicheres Evangelium ist: nur die Erkenntniß ist geblieben, der Wille ist verschwunden.“ (aus WWV, Buch 4 §71)
Schopenhauers wortgewaltige Metaphern sind kraftvoll und anschaulich zugleich. Dass er hier das Bild von „Meeresstille“ bemüht, mag auch für den Entstehungsprozess von „Tristan und Isolde“ nicht ganz ohne Bedeutung sein, schließlich ist die Szenerie des gesamten Musikdramas das Meer (der erste Akt spielt sogar ausschließlich auf einem Schiff). Und während allen drei Akten gibt es wohl nichts, wonach sich Tristan und Isolde mehr sehnten als eine „gänzliche Meeresstille des Gemüths“, am besten in trauter Zweisamkeit. In diesem Zusammenhang ist es notwendig einen weiteren Begriff Schopenhauers anzuführen: „principium individuationis“. Dieser bezeichnet die von anderen getrennte Einzelexistenz, die auf dieser Welt jedem eingeschrieben ist. Demnach ist jedes konkret Seiende, was in raum-zeitlicher Form als Erscheinung existiert und leidet, nur die äußere Gebärdung des intrinsisch waltenden Willens, ein Effekt dieses „Individuationsprinzips“. Jedes Individuum ist davon betroffen. Und gerade Tristan und Isolde, die inniger als alle anderen nach höherer Vereinigung – jenseits des allgegenwärtigen Leids – streben, kämpfen offen gegen dieses Prinzip der Trennung an. Beider – Tristans und Isoldes – „Ich“ will sich schließlich mit dem „Du“ des jeweils anderen zu einem höheren „Wir“ jenseits von Raum und Zeit für immer vereinen, um ihre Individualität entgegen des Prinzips transzendental aufzulösen. In weiterer Folge ist es interessant, dass Schopenhauer zur Veranschaulichung des „principium individuationis“ erneut eine Meeres-Metapher bemüht, als würde er Wagners späteres Musikdrama nicht nur inhaltlich, sondern auch szenisch vorwegnehmen wollen:
„Denn, wie auf dem tobenden Meere, das, nach allen Seiten unbegränzt, heulend Wasserberge erhebt und senkt, auf einem Kahn ein Schiffer sitzt, dem schwachen Fahrzeug vertrauend; so sitzt, mitten in einer Welt voll Quaalen, ruhig der einzelne Mensch, gestützt und vertrauend auf das principium individuationis, oder die Weise wie das Individuum die Dinge erkennt, als Erscheinung. Die unbegränzte Welt, voll Leiden überall, in unendlicher Vergangenheit, in unendlicher Zukunft, ist ihm fremd, ja ist ihm ein Mährchen: seine verschwindende Person, seine ausdehnungslose Gegenwart, sein augenblickliches Behagen, dies allein hat Wirklichkeit für ihn: und dies zu erhalten, thut er Alles, solange nicht eine bessere Erkenntniß ihm die Augen öffnet. Bis dahin lebt bloß in der Innersten Tiefe seines Bewußtseins die ganz dunkle Ahndung, daß ihm jenes Alles doch wohl eigentlich so fremd nicht ist, sondern einen Zusammenhang mit ihm hat, vor welchem das principium individuationis ihn nicht schützen kann.“ (aus WWV, Buch 4 §63)
Auch für die Furcht vor dem Tod, welche die beiden Liebenden ebenso wie das Individuationsprinzip überwinden, verwendet Schopenhauer an anderer Stelle ein illustrierendes Meeresgleichnis:
„Das Leben der Allermeisten ist auch nur ein steter Kampf um diese Existenz selbst, mit der Gewißheit ihn zuletzt zu verlieren. Was sie aber in diesem so mühsäligen Kampfe ausdauern läßt, ist nicht sowohl die Liebe zum Leben, als die Furcht vor dem Tode, der jedoch als unausweichbar im Hintergrunde steht und jeden Augenblick herantreten kann. – Das Leben selbst ist ein Meer voller Klippen und Strudel, die der Mensch mit der größten Behutsamkeit und Sorgfalt vermeidet, obwohl er weiß, daß, wenn es ihm auch gelingt, mit aller Anstrengung und Kunst sich durchzuwinden, er eben dadurch mit jedem Schritt dem größten, dem totalen, dem unvermeidlichen und unheilbaren Schiffbruch näher kommt, ja gerade auf ihn zusteuert, – dem Tode: dieser ist das endliche Ziel der mühsäligen Fahrt und für ihn schlimmer als alle Klippen, denen er auswich.“ (aus WWV, Buch 4 §57)
Abschließend sei noch Schopenhauers Einfluss auf Wagners „Tristan und Isolde“ durch eine Analyse von Thomas Mann (1875-1955) beleuchtet. Dieser verehrte beide älteren Meister und verfasste umfangreiche Essays über diese. Eines aus dem Jahre 1933 trägt den Titel „Leiden und Größe Richard Wagners“ und beinhaltet einen geistreichen Gedanken, der Schopenhauers „Willen“ im Musikdrama plausibel und konkret zu verorten weiß: Thomas Mann erkennt diesen im unaufgelösten "Sehnsuchtsmotiv" (wovon der „Tristan-Akkord“ zu Beginn des Vorspiels ein Teil davon ist), das im gesamten Musikdrama unterschwellig – wie es auch der Wille in allem Seienden tut – als elementare Grundeinheit stets präsent und wirkmächtig waltet und so das Werk von Anfang bis Ende durchdringt (und erst ganz zum Schluss seine Auflösung – als Verneinung des Willens zum Leben? – erfährt):
»Schopenhauers System ist eine Willensphilosophie von erotischem Grundcharakter, und ebensofern sie das ist, ist der Tristan erfüllt, durchtränkt von ihr … Wagner ist im Tristan nicht weniger Mythopoet als im Ring: auch in dem Liebesdrama handelt es sich um einen Weltentstehungsmythos. „Sehnsüchtig“, schrieb er 1860 aus Paris an Mathilde Wesendonck, „blicke ich oft nach dem Lande Nirwana. Doch Nirwana wird mir schnell wieder Tristan; sie kennen die buddhistische Weltentstehungstheorie. Ein Hauch trübt die Himmelsklarheit … [hier notierte Wagner die chromatisch, vom Tristan-Akkord ausgehende Melodielinie, die in ihrem aufsteigenden und unaufgelösten Charakter Klang gewordene Sehnsucht darstellt] … das schwillt an, verdichtet sich und in undurchdringlicher Massenhaftigkeit steht endlich die ganze Welt wieder vor mir.“ Es ist der symbolhafte Tongedanke, den man als „Sehnsuchtsmotiv“ zu bezeichnen pflegt, und der in der Kosmogonie des Tristan den Anfang aller Dinge bedeutet … Es [Das Sehnsuchtsmotiv] ist Schopenhauers „Wille“, repräsentiert durch das, was Schopenhauer den „Brennpunkt des Willens“ nannte, das Liebesverlangen. Und diese mythische Gleichsetzung des süßleidig-weltschöpferischen Prinzips, das zuerst die Himmelsklarheit des Nichts trübte, mit dem sexuellen Begehren ist dermaßen schopenhauerisch, dass die Ableugnung der Adepten zum wunderlichen Eigensinn wird. «
Ganz spannend ist auch Thomas Manns nüchterne, schonungslose und doch vollkommen zutreffende Erkenntnis, dass es sich bei „Tristan und Isolde“ – er bezeichnete es als „opus metaphysicum“ – um ein vollkommen areligiöses Werk handele:
»Es ist übrigens von großem Interesse, wie in dem Drama der Liebesmythus geistig festgehalten wird und von jeder historisch-religiösen Trübung oder Störung bewahrt bleibt … Es gibt kein Christentum, das doch als historisch-atmosphärisch gegeben wäre. Es gibt überhaupt keine Religion. Es gibt keinen Gott, - niemand nennt ihn, ruft ihn an. Es gibt ausschließlich erotische Philosophie, atheistische Metaphysik, den kosmogonischen Mythos, in dem das Sehnsuchtsmotiv die Welt hervorruft. «
Diese atheistische Metaphysik wohnt auch Schopenhauers Philosophie inne, die keine Heilslehre, Jenseitsszenarien oder allmächtige Götter verspricht, sondern nur in der inneren Negation einen Weg sieht, um aus der Welt der Täuschung und Trennung, wo das „principium individuationis“ herrscht, herauszukommen, damit das Leid in Folge der wiederkehrenden Sehnsucht endlich ein Ende findet und so das letzte große Ziel erreicht werden könne, das „Nichts“. So beendet Schopenhauer sein Hauptwerk mit den schonungslosen Worten:
„Wir bekennen es vielmehr frei: was nach gänzlicher Aufhebung des Willens übrig bleibt, ist für alle Die, welche noch des Willens voll sind, allerdings Nichts. Aber auch umgekehrt ist Denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen – Nichts.“ (aus WWV, Buch 4 §71)
Wagner folgt zwar Schopenhauers Intention am Ende des Musikdramas, dass mit „Verneinung des Willens zum Leben“ auch die Sehnsucht erlischt (wie in den letzten Takten anhand der sich auflösenden Dissonanzen des Sehnsuchtsmotives eindrucksvoll dargestellt), dennoch geht er über die Philosophie hinaus, da er das Unbeschreibliche – Schopenhauers „Nichts“ – zum positiv erlebbaren Ereignis werden lässt: Die Aufhebung der Einzelexistenz wird am Ende durch Isoldes sogenannte „Verklärung“ (der irreführende Begriff „Liebestod“ stammt nicht von Wagner) auf betörende Weise Klang. Ob sie dabei eine „Verneinung des Willens zum Leben“ vollführt, dem tatsächlich Schopenhauers „Nichts“ folgt, kann nicht geklärt werden. Es wäre wohl der strahlendste und schönste Ausdruck, der je für das „Nichts“ musikalisch gefunden wurde. Die spannendere Frage ist, ob sich die „Verklärung“ überhaupt auf Isolde bezieht, oder ob diese – abseits des Bühnengeschehens – vielmehr in den Köpfen des Publikums geschieht: Vielleicht „verklärt“ sich Isolde nur dort – in unseren Köpfen – zu einem Symbol der transzendierten Liebe, dem wahren Ursprung ihrer Unsterblichkeit und einer Hoffnung, die nicht mehr durch Worte, nur noch durch Musik vermittelt werden kann.