Es gibt kaum einen Komponisten, dem größeres Unrecht widerfahren ist, als Franz Liszt (1811-1886): Meist auf seine frühe Laufbahn als Klaviervirtuose reduziert, haftet seinem Werk bis heute das Signum der Minderwertigkeit an. Dabei war Liszt nicht nur bedeutender Vertreter der Musik der Romantik, sondern zugleich deren erster Überwinder. Seine in sich gekehrte, einsame Suche nach neuen Ausdrucksformen führte zum stillen, nachhaltigen Bruch mit der Musiksprache seiner Zeit, lange bevor spätere Generationen die Revolution der Moderne lautstark einläuteten. Liszt, der verkannte Visionär, legte dabei Regionen frei, die für alle anderen noch dunkel waren.
Die Rezeptionsgeschichte von Franz Liszts Werk war immer wieder von ungerechtfertigten Vorbehalten geprägt, die eine unvoreingenommene Beurteilung seines Schaffens bis heute erschweren: Zum einen scheint es Mode geworden zu sein, vermeintliche Schwächen in Liszts Orchesterwerken zu orten und gegen Werke anderer Komponisten auszuspielen, um seine Unterlegenheit zu postulieren. Zum anderen wurden seine Klavierkompositionen oft als auf den reinen Effekt bedachte Machwerke eines Virtuosen abqualifiziert, der in Ermangelung musikalischer Substanz mit oberflächlichem Brillieren nach außen zu dringen versuchte, um ein sensationslüsternes, aber unmusikalisches Publikum für sich zu gewinnen. Beide Etikettierungen zeugen von großen Missverständnissen, die, wenn nicht auf Böswilligkeit, so zumindest auf Unwissen beruhen. Denn Liszt war nicht nur Virtuose am Klavier, sondern in erster Linie Komponist für das Klavier. Es war sein Instrument der Entgrenzung, der Entfesselung, dem er seine poetischen Eingebungen anvertraute und diese in orchestrale Klangfarben von bislang unbekannten Dimensionen zu verwandeln wusste. Und gerade darin besteht seine eigentliche Errungenschaft: Die Idee, das Instrument als vielschichtiges Orchester nicht mehr dem reinen Schönklang unterzuordnen, sondern in den Dienst des kompromisslosen Ausdrucks innerster Empfindung zu stellen, wurde von Liszt im Alleingang perfektioniert. Dies führte zu einer nie dagewesenen Intensität an Ausdruck, deren Spektrum vom hellsten Licht bis hin zu tiefsten Schatten reicht und in Liszts Meisterwerken nie zum bloßen Vehikel des äußeren Effekts verkommt. Sie ist vielmehr die zugrundeliegende Ursache, die erst im Klang ihre Wirkung nach außen findet. Die oft gescholtene Virtuosität wird dann zum Medium der Vermittlung, zum Geburtshelfer eines inneren Prozesses, der nach außen getragen werden will und dem eine höhere Idee eingeschrieben ist. Doch diese ist kein Selbstzweck; sie ist der Versuch, dem Unbeschreiblichen habhaft zu werden und es in Musik zu transzendieren. Und genau darin liegt das Geheimnis begründet, das Liszts beste Kompositionen so kompromisslos, intensiv und originär macht: Ihre atemberaubende Expressivität, die in ihrer Unmittelbarkeit von klassischen Formen nicht gebändigt werden will, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr von unermüdlichem Gestaltungswillen und kühner Neugier, die sich weder Hörgewohnheiten noch überlieferten Traditionen unterordnen lässt und unerschrocken nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten strebt. Dass Liszt im Laufe seines Lebens dabei immer unkonventioneller, ja progressiver wurde und am Ende gar – in innerer Abgeschiedenheit – völliges Neuland entdeckte, das mit der Mode seiner Zeit endgültig brach, lässt sich in seinem ganzen Ausmaß womöglich erst heute überblicken: So verzichtete Liszt in seinem Spätwerk, das tatsächlich auch ein Alterswerk war, schließlich auf jegliche Form von Virtuosität und drang in karge Klangsphären vor, die in ihrem radikalen Ausdruck und ihrer kühnen Harmonik in Welten führten, die noch niemand zuvor je betreten hatte, doch bereits vollständig von künftigen Revolutionen zu berichten wussten, da sie diese längst in sich bargen.
Der folgende – vierteilige – Artikel hat sich zum Ziel gesetzt, den noch immer existierenden Vorbehalten gegenüber Liszts Werk entschieden entgegenzutreten, indem sein Schaffen von vier unterschiedlichen Blickwinkeln hinsichtlich seiner einzigartigen Modernität beleuchtet wird. Dabei sollen aber nicht nur Bedeutung und Wert einzelner Kompositionen vermittelt, sondern auch deren Einfluss auf spätere Generationen nachvollzogen werden. Liszts Vermächtnis strahlte nämlich weit ins 20. Jahrhundert aus und nahm etliche Revolutionen vorweg, die sich zu seiner Zeit noch nicht einmal ankündigt hatten. Dementsprechend möchte der Artikel Franz Liszt nicht nur als großen Komponisten und unvergleichlichen Klavierpoeten von unerschöpflicher imaginativer Kraft vorstellen, sondern auch als kühnen Vordenker, Neuerer und Visionär, der in der Musikgeschichte noch nicht den Platz gefunden hat, der ihm zusteht. Doch um diesen zu finden, hilft ein unvoreingenommener Blick auf sein Werk, das von der wahren Geschichte zu erzählen weiß.
Der Artikel gliedert in vier Betrachtungen:
I. Ungarisches Temperament – Hör mal, wer da hämmert
II. Fluide Impression – Wasserspiele und mehr
III. Kathedrale des Klangs – Kling, Glocke, kling
IV. Point of no Return – Der Weg ins Atonale
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II. Fluide Impression – Wasserspiele und mehr
Bei näherer Betrachtung von Franz Liszts Werk liegt diesem meist eine höhere poetische Idee zugrunde. Gerade die Natur dient hierbei oft als Projektionsfläche, indem sie – weit über jede realistische Darstellung hinaus – in einem übergeordneten metaphysischen Kontext eingebettet wird. Demnach zelebriert Liszts Musik nicht das sinnlich Fassbare, sondern die transzendentale Erfahrung, die im Klang überhaupt erst erfahrbar wird. Diese Transzendenz erschöpft sich aber nicht in der reinen Wiedergabe von äußeren Eindrücken, sie führt vielmehr nach innen, wo Liszt verborgene Regionen freizulegen sucht, indem er den Begriff Natur überwindet und zur Metapher tiefer Innerlichkeit – bis hin zur religiösen Versenkung – werden lässt. Das Element des Wassers spielt hierbei eine wichtige Rolle und findet in jeder Schaffensphase Liszts immer neue musikalische Ausgestaltungen mit unterschiedlichsten Deutungsebenen.
Bereits in den 1830er Jahren gelangen Liszt im ersten Teil seines pianistischen Hauptwerkes, dem dreiteiligen Sammelband „Années de pèlerinage“ („Pilgerjahre“), zwei Charakterstücke, die den sanften Wellengang eines Sees ebenso zu evozieren vermochten wie das liebliche Sprudeln frischer Quellen. Ersterem – mit dem Titel „Au lac de Wallenstadt“ („Am Walensee“) – ist ein Motto von Lord Byron vorangestellt: „Thy contrasted lake / With the wild world I dwell in is a thing / Which warns me, with its stillness, to forsake / Earth's troubled waters for a purer spring.“ Liszt verweist mit Byrons Worten auf die innewohnende Ruhe des Sees im Gegensatz zu den wilden Gewässern einer ungestümen Außenwelt und gemahnt diesen zugunsten reineren Quellen zu entsagen. Mit diesem Subtext gesellt sich zum vermeintlich naturalistischen Landschaftsbild ein dem Menschen eingeschriebener Konflikt und hebt das Werk dadurch auf eine Metaebene, welche die religiöse Sphäre streift: Schließlich ist das intrinsische Element des Christentums (sowie jeder Religion) die unstillbare Sehnsucht nach Frieden und Reinheit im immateriell Absoluten. Das Element des Wassers spielt hierbei keine zu unterschätzende Rolle, fand es doch als Inbegriff der Reinigung (Purifikation) – sei es als Weihwasser bei der Taufe oder als zu Blut erklärtem Wein – Eingang in den christlichen Ritus. Erst mit diesem Wissen in Verbindung mit dem vorangestellten Motto kann die spirituelle Dimension, der sich Liszts Musik nähert, erahnt werden, ohne dem Werk, das im Dienste einer höheren Idee steht, Unrecht zu tun. – Betrachtet man die Musik selbst, so fällt es nicht schwer in den gleichmäßig rinnenden Figuren die sanften Wogen der Wellen auf der Oberfläche des Sees sowie das – durch bedächtiges Rudern – Gleiten auf ebendieser zu erkennen. Und doch bedarf es höchster Kunst, diese Natürlichkeit einzufangen und mit dem ihr eingeschriebenen Motto sowie dessen geistigem Überbau harmonisch zu versöhnen. Selten waren große Gedanken und Klangschönheit inniger vereint:
Auch dem zweiten Stück mit dem vielsagenden Titel „Au bord d’une source“ („Am Rand einer Quelle“) ist ein Motto – diesmal von Schiller – vorangestellt: „In säuselnder Kühle / beginnen die Spiele / Der jungen Natur.“ In dieser poetischen Miniatur voll frisch sprudelnder Vitalität scheint jeder herabrieselnden Wassertropfen des herausströmenden Quells einzeln greifbar zu sein und doch verweist das Motto nicht nur auf das Beobachtung eines natürlichen Wasserspiels, sondern auch auf eine zusätzlich abstrakt-menschliche Komponente, die der Begriff „junge Natur“ in sich birgt und das Leben an sich gleich mit einzuschließen vermag:
Doch Liszt nutzt die Eigentümlichkeit des Wassers nicht nur zur Illustration höherer Bedeutungsebenen, sondern erschließt in späteren Jahren mit den klanglichen Eigenheiten dieses Elements auch neue Dimensionen religiöser Versenkung. Das sanfte Wogen der Wellen wird dabei zu einer stillen, um sich selbst kreisenden Meditation transzendiert, die zum Dokument einer Suche nach Einkehr und spiritueller Erfahrung wird. Eine Suche, die von der Sehnsucht geleitet wird, den beengenden Erkenntnishorizont des eigenen Daseins durch eine höhere Erfahrung zu überwinden und als Individuum über sich selbst hinauszuwachsen. Es ist die Sehnsucht nach Entgrenzung, am Grenzenlosen teilzuhaben. Liszt wird im Versuch, all dies musikalisch zu vermitteln, zum Schöpfer einer neuen musikalischen Gattung, nämlich jener des religiös inspirierten Klavierstücks, welche pittoreske Darstellungen romantischer Miniaturen (wie in den beiden ersten Hörproben vorliegend) weit übersteigt. Die Meditation wird hierbei zum Motor und Taktgeber einer Suche. Nicht mehr das subjektiv gefärbte Abbild von einem Außen, sondern das innere Streben nach spiritueller Erfahrung rückt nun in den Vordergrund. Die dabei stattfindende religiöse Versenkung wird zum immanenten Teil der pianistischen Exploration, die sich im Klang nach außen manifestiert.
Liszts Meisterwerk in diesem Zusammenhang ist „Bénédiction de Dieu dans la solitude“ („Gottes Segen in der Einsamkeit“) aus einer Sammlung von Klavierkompositionen mit dem programmatischen Titel „Harmonies poétiques et religieuses“, die in den späten 1840er Jahren entstanden ist. Die Musik wird hier zum Gebet. Die zelebrierte stille Einkehr benötigt keine äußere Metapher mehr, um Bestand zu finden. Es ist die vielschichtig abgestufte Intensität des Ausdrucks selbst – von ruhiger Kontemplation bis hin zu entfesselter Ekstase –, die der Komposition ihr Programm verleiht: So gesehen sind die sanft oszillierenden Klanggebilde, die sich wogend gestalten, verstärken und schließlich leidenschaftlich entladen, Wellen nicht von dieser Welt, sondern verinnerlichter Ausdruck einer sich mitteilenden Seelenlandschaft eines suchenden, finden-wollenden Subjekts. Ein Subjekt, das in tiefer Einsamkeit in Dialog mit sich selbst tritt und dabei einen Prozess vollführt. Das ungenannte Wasser wird hierbei zu wogenden Wellen eines mäandernden Bewusstseinsstroms, der von der Sehnsucht nach spiritueller Erfahrung und (ver-)klärender Transzendenz geleitet wird:
Bei aufmerksamem Hören erkennt man in den sich leidenschaftlich gestaltenden Höhepunkten (ab Minute 4:09 sowie ab 12:00) eine musikalische Vorwegnahme (um rund zehn Jahre) von „Isoldes Verklärung“ (fälschlicher Weise auch als „Liebestod“ bezeichnet) am Ende von Richard Wagners (1813-1883) „Tristan und Isolde“. Auch in diesem Bühnenwerk ist es das Element Wasser, welches das Geschehen sowohl äußerlich (der Akt 1 spielt auf hoher See, Akt 2 und 3 an Küsten) als auch innerlich (in Form von wild aufbrausende Liebeswogen) bestimmt. Am Ende (nach Tristans Tod) verneint Isolde schließlich ihren Willen zum Leben, um das Irdische endgültig zu überwinden, sich als Subjekt in einer entgrenzten „Allumfasstheit“ aufzulösen und mit Tristan so indirekt wieder vereint zu sein. Für die Umsetzung benötigte Wagner Liszts Gottesbegriff nicht, sehr wohl aber dessen musikalischen Einfall, der nun Isoldes letztes sehnsüchtige Begehren sowie die erlösende Erfüllung in immer heftiger werdenden orgiastischen Liebeswogen als wilden metaphysischen Wellengang darzustellen weiß. – Nach der Uraufführung 1865 fertigte Liszt, der mittlerweile Wagners Schwiegervater war, vom Finale höchstpersönlich eine Transkription für Klavier an. Es wird ihm wohl nicht entgangen sein, dass er für dieses in der Musikgeschichte ebenso einzigartige wie bahnbrechende Werk einen bescheidenen (meist unerwähnten) Beitrag geleistet hat (ab 4:19):
Etwas weltlicher als
„Bénédiction de Dieu dans la solitude“, dafür umso populärer ist der
Liebestraum in As-Dur aus dem Jahre 1850, der die aufwallenden Liebeswogen eines möglichen Liebestodes ebenso vorwegzunehmen scheint. Die höhere poetische Idee dieses lyrischen Klavierwerkes ist eine verlockende Aufforderung, die dem Titel eines ursprünglich vertonten Gedichts zu entnehmen ist:
„O lieb, solang du lieben kannst“.
Wieder ganz und gar geistlich motiviert wird es in der ca. 1860 entstandenen pianistischen Interpretation der
Legende des heiligen Francesco di Paolo, wonach dieser die Meerenge von Messina zu Fuß überquert haben soll. Diese vereint physisch fassbaren Wellengang mit der mystisch-sakralen Aura der Überlieferung: Das markant schreitende Choralthema des Heiligen überlagert sich immer wieder mit Tremoli, Arpeggien, chromatischen wie diatonischen Skalenläufen des unter seinen Füßen aufbrausenden Meeres, das er aber – im Glauben gefestigt – unbeschadet zu überwinden vermag:
Die bedeutendste Schöpfung Liszts, die sich direkt dem Element des Wassers verschreibt, ist allerdings die späte Tondichtung „Les jeux d'eaux à la Villa d'Este“ („Die Wasserspiele der Villa d'Este“) aus dem Jahre 1877 sowie Teil des dritten Bandes von „Années de pèlerinage“ („Pilgerjahre“). Diese widmet sich dem Titel nach der Künstlichkeit einer durch Menschenhand gebändigten Natur in Form eines mit komplexen Brunnenanlagen versehenen Renaissancegartens der Villa d’Este in Tivoli nahe Rom, die zugleich Liszts Alterssitz war. Dem vom Wundergarten hochinspirierten Liszt gelang hier eine Komposition von besonderer Kunstfertigkeit, indem er all die unzähligen sprudelnden Quellen, übergehenden Beckenkaskaden, hochschießenden Fontänen sowie gewaltigen Wasserfälle zum Klingen bringt und in irisierend betörenden Klangfarben impressionistische Tonmalerei vorweg zu nehmen scheint. In diesem Meisterwerk verschränkt sich erneut bildhafte Evokation realer Gegebenheiten (in Form der Wasserspiele) mit der entrückt-verklärender Mystik einer sakralen Aura zu einer höheren Einheit. Denn für Liszt, der zu dieser Zeit bereits die niederen Weihen empfangen hatte und mit Erlaubnis eines befreundeten Kardinals – dem Besitzer der Villa – an diesem magischen Ort wohnen durfte, war das im Garten allgegenwärtig sprudelnde Wasser mehr als nur sommerliche Erfrischung oder sinnliche Zerstreuung: Es war für ihn die Präsenz des göttlichen Heilsgeschehens, da ein verschlossener Garten („Hortus conclusus“) mitsamt Brunnen bzw. Quellen („fons“) bereits im Hohelied Salomons des Alten Testaments Erwähnung findet und später zum Symbol der unversehrten Jungfräulichkeit Marias, der Mutter Jesu, wurde. Darüber hinaus versah Liszt eine besonders mystische Stelle in der Partitur mit einem Zitat aus dem Johannesevangelium, als Jesus am Brunnen Jakobs zu der Samariterin sprach: „…sed auqua quam ego dabo ei, fiet in eo fons aquae alientis in vitam aeternam.“ („…vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“) Wasser galt Liszt somit als Symbol des ewigen Lebens sowie des absolut Reinen, das in ständiger Bewegung Segen zu spenden vermag. Und er tat das Seine, diesem heiligen Medium durch ein weiteres heiliges Medium, der Musik, Transzendenz und Ewigkeit zu verleihen:
„Les jeux d’eau à la Villa D’Este“ gilt nicht nur als ein Höhepunkt in Liszts Spätwerk, sondern ist auch musikgeschichtlich von höchster Relevanz und Einfluss auf die nächste Generation Musikschaffender: Liszt nahm hier mit exotischen Klangfarben und virtuosen Skalenläufen bereits Anklänge einer damals noch nicht existenten Musikepoche vorweg, die als französischer Impressionismus erst ein Vierteljahrhundert später zur vollen Blüte kommen sollte. Liszts visionäres Meisterstück war den bedeutendsten Vertretern des Impressionismus,
Maurice Ravel (1875-1937) und
Claude Debussy (1862-1918), durchaus vertraut und wurde als wegweisende Pioniertat sehr geschätzt. So ist es kein Zufall, dass Ravel bereits im Titel seines ersten ganz dem impressionistischen Stil verschriebenen Klavierwerks aus dem Jahr 1901 dem verehrten Meister seine Reverenz erwies, indem er sich kompositorisch der Beschreibung bewegten Wassers widmete und sich auch noch für den Namen
„Jeux d’eau“ („Wasserspiele“) entschied. Auf eine nähere geografische Bezeichnung verzichtete Ravel ebenso wie auf den christlichen Überbau, indem er sein Werk ebenso humorvoll wie (gemessen an Liszts Katholizismus) leicht blasphemisch mit
„Dieu fluvial riant de l’eau qui chatouille“ („Flussgott, über das Wasser lachend, das ihn kitzelt“) überschrieb. Musikalisch führte Ravel aber Liszts anspruchsvolle transzendentale Virtuosität konsequent fort, erweiterte dabei das Klangspektrum noch mehr und fand so zu seinem ureigenen, unverwechselbar eleganten Stil:
„Jeux d’eau“ sollte in Ravels Schaffen aber nur den Urknall impressionistischer Klavierwerke darstellen, die sich dem Element Wasser verschreiben. So befindet sich bereits im Klavierzyklus
„Miroirs“ („Spiegelbilder“) von 1905 ein Stück von betörender Schönheit mit dem programmatischen Titel
„Une barque sur l’océan“ („Eine Barke auf dem Ozean“):
Und auch in seinem Meisterwerk, dem Klavierzyklus
„Gaspard de la nuit“ („Schatzmeister der Nacht“) aus dem Jahr 1908, widmete Ravel sich in traumhafter Szenerie dem Element Wasser über
„Ondine“, einer Wassernixe, und schuf damit eines der bezauberndsten und gleichzeitig anspruchsvollsten Klavierstücke der Musikgeschichte:
Doch auch bei Claude Debussy – der erst nach Ravel am Klavier seinen unverwechselbaren impressionistischen Stil fand – hinterließ das Element Wasser Spuren, schließlich durfte er als junger Komponist noch persönlich die Bekanntschaft mit Franz Liszt machen, der ihm bei der Gelegenheit womöglich persönlich seine „Wasserspiele“ vortragen konnte. Besonders eindrucksvoll gelang dies Debussy in seinem 1904 entstandenem Werk
„Reflets dans l’eau“ aus dem Zyklus
„Images“, in welchem er Lichtreflexe auf einer bewegten Wasseroberfläche mit hochpoetischem Gespür für ausdrucksvollste Tonmalerei beschreibt:
Eine späte Referenz an die fluiden Impressionen Liszts, Ravels und Debussys erwies
György Ligeti (1923-2006) in seinem 1976 entstandenen Werk mit dem bezeichnenden Titel
"In zart fließender Bewegung", wo der Klangraum zweier Klaviere in alle Richtungen zu zerfließen scheint:
War Liszts klangpoetische Auseinandersetzung mit dem Element Wasser (wie seine Musik generell) christlich geprägt, so lösten sich bereits die Impressionisten völlig davon und ergingen sich ganz im Spiel um des Spiels willen, schufen Kunst, die sich selbst genügt, ohne einem höheren Zweck zu dienen. Und doch öffnete Liszts metaphysische Suche – unabhängig von ihrer Motivation – folgenreich eine Tür, die sich als Eingang zu einer Schatzkammer erweisen sollte, welche die Musikgeschichte unendlich reicher macht.